Kinderarbeit und Gewalt an Kindern: Folgen derselben Ursache
Fijáte 311 vom 2. Juni 2004, Artikel 9, Seite 6
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Kinderarbeit und Gewalt an Kindern: Folgen derselben Ursache
Guatemala, 20. Mai. Gemäss Angaben des Nationalen Statistikinstituts (INE) gibt es in Guatemala rund 1 Million arbeitende Kinder im Alter von 5 bis 17 Jahren, 39'000 davon arbeiten als private Hausangestellte. Zahlen, die kürzlich in der Tageszeitung Prensa Libre erschienen, gehen von 2,5 Millionen arbeitenden Kindern aus und von 17'000 Mädchen, die als Hausangestellte arbeiten. Offenbar gibt es also keine allgemein gültigen Zahlen über Kinderarbeit in Guatemala, unter anderem wohl auch deshalb, weil es keine genaue Definition davon gibt, was Kinderarbeit überhaupt ist und weil viele Kinder im ohnehin nicht statistisch erfassbaren informellen Sektor arbeiten. SpezialistInnen des Themas sind sich einig, dass es keinen Sinn mache, über Kinderarbeit zu diskutieren, wenn man nicht gleichzeitig über Kriterien und Ursachen spricht. In Guatemala gibt es rund 3 Millionen Kinder ohne Schulbildung. Man geht davon aus, dass der grösste Teil von ihnen ,,illegal" arbeitet. Organisationen, die im Bereich des Kinderschutzes arbeiten, fordern, dass z.B. minderjährige Hausangestellte als ein existierendes Phänomen anerkannt und aus der Illegalität enthoben werden und somit eher vor Übergriffen und (sexueller) Ausbeutung geschützt werden können. Die meisten privaten Hausangestellten sind Mädchen indigener Herkunft, die vom Land in die Stadt kommen und ihre Rechte nicht kennen. Laut Angaben der Casa Benito, einer Institution, die in der Hauptstadt mit minderjährigen Hausangestellten arbeitet, kommt die Mehrheit von ihnen aus den Departements San Marcos und Totonicapán, zwei der ärmsten im Land. Aber auch Kinder, die in anderen Bereichen arbeiten, sind Gefahren und Gewalt ausgesetzt. Beliebte Industriezweige für Kinderarbeit ist die Herstellung von Feuerwerk oder die Ledergerberei, zwei Handwerke, in denen es immer wieder zu Unfällen kommt bzw. keine oder nur geringe Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Die rechtliche Situation zum Schutz der arbeitenden Kinder ist prekär. Zwar gibt es den Minderjährigenkodex und das Arbeitsrecht (gemäss dem die Arbeit von Kindern unter 14 Jahren verboten ist), ebenso unterzeichnete der guatemaltekische Staat im Jahr 1990 die UNO-Kinderschutzkonvention, doch sind sich viele Fachleute einig, dass es dabei mehr um das internationale Ansehen der Regierung denn um das Interesse am Schutz der Kinder ging. Das Kinder- und Jugendgesetz, das in langwieriger Zusammenarbeit mit den nationalen Kinder- und Jugendorganisationen erarbeitet wurde, liegt hingegen immer noch in den Schubladen der Kongressabgeordneten. Nach oben |
Das Phänomen der Kinderarbeit kann jedoch nicht mit Gesetzen allein gelöst werden, sondern es muss etwas gegen die Arbeitslosigkeit und die Armut unternommen werden, unter denen ein grosser Teil der guatemaltekischen Bevölkerung leidet und deren Folgen u.a. die vermehrte Mitarbeit von Kindern als Beitrag zum familiären Einkommen ist. Bruce Harris, Direktor der Kinderschutzorganisation Casa Alianza, erklärt es genauer: ,,Die Unterzeichnung der Friedensabkommen hat für die Bevölkerung nicht den erwartete Aufschwung mit sich gebracht. Die Bedingungen auf dem Lande haben sich nicht verbessert, die Diskriminierung der Indígenas ist nicht verschwunden." Die Grundprobleme sieht Harris in der Armut und dem mangelnden Zugang zur Bildung. Kinder, die nicht zur Schule gehen können, werden auch Mühe haben, später eine würdevolle Arbeit zu finden und sind entsprechend eher Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt. Eine Zunahme der Gewalt an Kindern verzeichnet denn auch die entsprechende Anlaufstelle des Menschenrechtsprokurats (PDH) im ersten Quartal 2004. Mit täglich dreissig Anzeigen ist wohl nur ein Bruchteil der gewaltsamen Übergriffe an Kindern erfasst, man rechnet mit einer grossen Dunkelziffer. Das guatemaltekische Strafgesetz sieht ,,nur" Sanktionen vor bei Körperverletzung, Gesundheitsstörungen und sexuellem Missbrauch. Laut Angaben des Spitals San Juan de Dios werden die meisten Kinder mit Verletzungen wegen körperlicher oder sexueller Misshandlung eingeliefert. In der hauptstädtischen Leichenhalle wurden dieses Jahr 12 Kinder aufgebahrt, die tot in Plasiksäcken aufgefunden wurden und als XX (unbekannt) begraben werden mussten. |
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