Wieviel Geld für wen?
Fijáte 312 vom 16. Juni 2004, Artikel 1, Seite 1
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Wieviel Geld für wen?
Fragen rund um den Staatshaushalt haben in den letzten Wochen die guatemaltekischen PolitikerInnen und die Öffentlichkeit beschäftigt. Nach welchen Kriterien wird ein Etat erstellt, welche Steuern können oder dürfen erhöht werden, um der Staatsrechnung auch auf der Einnahmeseite etwas zuzuführen? Und nach den jüngsten Korruptionsskandalen wird immer häufiger auch die Frage laut, wer denn die Einhaltung des Budgets überwacht und überprüft. Ein Aspekt, der in dieser ganzen Diskussion bisher völlig aussen vor blieb, ist die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit beim Aufstellen von Etats und beim Verteilen von Staatsgeldern. Wie unterschiedlich profitieren Männer und Frauen von den Geldern, die den einzelnen Budgetposten zugewiesen werden? Wie werden im Etat spezifische Bedürfnisse und Situationen von Frauen berücksichtigt? Und schliesslich: Wem kommen die Haushaltsposten zu Gute, denen die meisten Gelder zugeteilt werden? Ein Budget, das solche Aspekte berücksichtigt, wird im Fachjargon "Genderbudget" genannt. Die Nationale guatemaltekische Frauenunion (UNAMG) präsentierte kürzlich eine Studie mit dem Titel Mirando el presupuesto público con perspectiva de género: educación, salud y vivienda" ("Das Staatsbudget aus der Genderperspektive: Erziehung, Gesundheit und Wohnen") aus der wir für den vorliegenden ¡Fijáte! die Einleitung und Teile des ersten Kapitels übersetzten. Einleitung Die guatemaltekische Frauenbewegung erzielte grosse Erfolge, was die Anpassung der nationalen Gesetzgebung und der öffentlichen Politik an die Gleichstellung der Geschlechter betrifft. Dies schlug sich z.B. in der Berücksichtigung der Geschlechterperspektive in den Friedensabkommen nieder oder in der Unterzeichnung und Ratifizierung von internationalen Abkommen über die wirtschaftliche, politische und soziale Gleichstellung der Frau durch den guatemaltekischen Staat. Zweifellos ist die Diskrepanz zwischen den eingegangenen Versprechen und ihrer Umsetzung immens. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die übernommenen Verpflichtungen nur ernsthaft umgesetzt werden können, wenn auch im Staatsbudget genügend Geld dafür zur Verfügung gestellt wird. Das Ziel der von der UNAMG herausgegebenen Studie ist es, einen Beitrag zu leisten zum Verständnis der politischen und technischen Elemente der Budgeterstellung in der Hoffnung, den Weg zu ebnen für die Berücksichtigung der Genderperspektive im Staatshaushalt. Das Anerkennen der Problematik wäre auch ein erster Schritt in Richtung Vernetzung mit anderen sozialen AkteurInnen sowie mit staatlichen Funktionären und Funktionärinnen. Die Studie ist Teil eines Prozesses zu dem auch der Diplomkurs "Steuerpolitik aus der Geschlechterperspektive" gehört, der sich an VertreterInnen der Zivilgesellschaft sowie an FunktionärInnen richtet und von der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (FLACSO) und UNAMG durchgeführt wurde. HerausgeberInnen der Studie sind Walda Barrios-Klee und Wilson Romero. Kapitel 1: Einleitende Erklärungen In der Finanzpolitik sind die Absichten sowie Ziel und Zweck ebenso wichtig wie die Mittel und Instrumente. Diese rein technischen Aspekten basieren auf Interessen, Machtverteilung und Wertvorstellungen. Mit anderen Worten: In der Finanzpolitik ist "Macht" nicht nur ein Element unter anderen, sondern der Ausgangspunkt für alle Entscheidungen, die getroffen werden. Entsprechend sind die Auswirkungen dieser Entscheidungen nicht neutral auf die Geschlechter, sozialen Schichten oder ethnischen Gruppen. Eine erste Konsequenz davon sehen wir in den unterschiedlich definierten Zielen der Steuer- und Haushaltspolitik. Für die einen bedeutet Finanzpolitik die Festlegung von Steuern und öffentlichen Ausgaben, um die Schwankungen der Wirtschaftszyklen aufzufangen und um eine wachsende Wirtschaft mit mehr Arbeitsplätzen und weniger Inflation zu fördern. Die Friedensabkommen definieren ein Konzept, das diesem diametral gegenübersteht: Die Finanzpolitik ist das Schlüsselwerkzeug, mit dem der Staat die in der Verfassung festgelegten Verpflichtungen umsetzen kann, speziell diejenigen im Bereich der sozialen Entwicklung und dem Wohlergehen aller. Weiter heisst es in den Friedensabkommen, dass die Budgetpolitik den Notwendigkeiten der sozioökonomischen Entwicklung, den Investitionen in Gesundheitswesen, Bildung, Wohnen, ländliche Entwicklung, Arbeitsschaffung, Dezentralisierung etc. entsprechen soll. Es wird betont, dass die Steuerpolitik gerecht, progressiv und abhängig von der Zahlungsfähigkeit der einzelnen ausgelegt werden soll. In Übereinstimmung zu den Friedensabkommen heisst es im Steuerpakt für eine Zukunft des Friedens und der Entwicklung: "Die Finanzpolitik muss integral, kohärent und koordiniert sein mit dem Rest der öffentlichen Politik. Sie muss global entworfen und verwaltet werden, mit einer langfristigen Vision, ausgerichtet auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung". Eine zweite Konsequenz sind die direkten oder indirekten Auswirkungen auf die Steuer- und Haushaltspolitik. Es ist kein Zufall, dass Guatemala eines der Länder mit den niedrigsten Steuereinnahmen ist. Ebenso wenig ist es zufällig, dass über die Mehrwertsteuer das meiste Geld in die Staatskasse fliesst. Die Steuerpolitik ist bei der Berück- Nach oben |
sichtigung von Interessen und bei der Begünstigung von Sektoren deutlich geprägt von denen, die sie entwerfen. Dies ist klar reflektiert im Staatsetat, wo Kriterien keine Rolle spielen, welche die unterschiedlichen, geschlechterspezifischen Bedürfnisse und Interessen mit einbeziehen würden. Es gibt unzählige Beispiele die beweisen, dass die guatemaltekische Finanzpolitik nicht neutral ist. Immer wieder werden einzelne Sektoren begünstigt, sei es durch die Reduzierung bestimmter Steuern, durch finanzpolitische Privilegien oder durch Mängel und Lükken im Rechtssystem. Es sind deshalb Entwürfe gefragt, die ein Staatsbudget mit Genderperspektive formulieren. In Guatemala ist es Tradition, dass der Staatshaushalt einer Reihe von technisch-buchhalterischen Faktoren folgt, welche die Politiken, Ziele und Interessen bestimmter Sektoren bevorteilen. Unter dem Motto "Geld hat kein Geschlecht" ging man so der Genderfrage aus dem Weg. In der vorliegenden Studie werden die Etats des Gesundheits-, Erziehungsund Wohnbauministerium analysiert. In den Leitlinien dieser drei Ministerien wird die Geschlechterungleichheit nicht wahrgenommen. Und in den wenigen Fällen, in denen Frauen speziell erwähnt werden, gibt es keine Kohärenz zwischen den genannten Zielen und der Bereitstellung von Geldern, um diese zu erreichen. Es kann aber in keinem Fall darum gehen, ein eigenes Budget für Frauen zu schaffen. Ein geschlechtersensibler Etat ist nicht gleichbedeutend wie getrennte Budgets für Männer und Frauen. Es ist ein Versuch, den Staatshaushalt auf seine Auswirkungen auf Frauen und Männer hin aufzuschlüsseln, sowie auf die unterschiedlichen Gruppen von Frauen und Männern, entsprechend der Geschlechterbeziehungen, auf denen unsere sozialen Strukturen aufgebaut sind. Die Berücksichtigung einer Genderperspektive bei der Erarbeitung und Analyse des Staatshaushalts begründet sich in ethischen, politischen und juristischen Prinzipien und soll zu einer Gleichstellung beitragen, sowohl bei der Abgabe von Steuern wie auch bei der Verteilung von öffentlichen Geldern. Abgesehen davon, dass es eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist, trägt es zu einem rationellen Gebrauch der Ressourcen und zu einem besseren Funktionieren der Wirtschaft bei. Im internationalen Kontext gibt es einige Beispiele, wo geschlechtergerechte Etats aufgestellt werden, und auch wenn es wenige sind, unterstützen sie doch einen Paradigmenwechsel und zeigen den in der Zukunft zu befolgenden Weg auf. Davon ausgehend, dass Wissen und Information fundamentale Werkzeuge sind, um Einfluss zu nehmen, werden in den folgenden Kapiteln die Erfahrungen anderer Länder im Umgang mit dem Genderbudget aufgezeigt und mit der Situation in Guatemala verglichen. In diesem Sinne ist diese Studie einmalig für die zentralamerikanische Region, einzig in Belize wurde eine ähnliche Initiative entwickelt bezüglich der Aktivitäten des (britischen) Commonwealth-Sekretariates. Die vorliegende Studie will einen Beitrag leisten zum Aufbau einer neuen Kultur in Sachen öffentlicher Politik und zur Entwicklung und Stärkung der Friedensabkommen mit dem Ziel, ein Land aufzubauen, dessen Politik auf einer par- tizipativen Demokratie und der Gleichstellung der Geschlechter gestützt ist. Mehr als eine abstrakte Übung in wissenschaftlicher Forschung handelt es sich um eine politische Strategie im Rahmen der Prozesse, die auf internationaler Ebene in Folge der Weltfrauenkonferenz (Beijing 1995) ausgelöst wurden, an der sich die teilnehmenden Staaten verpflichteten, einen Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter zu leisten. Teil dieser Verpflichtungen ist, die Haushaltspolitik zu überdenken und sichtbar zu machen, wieviel des Budgets den Frauen zu Gute kommt. Nach der Weltfrauenkonferenz 1995 fand in Lima, Peru, im Jahre 2000 die 8. Regionalkonferenz zu Frauen in Lateinamerika und der Karibik Beijing + 5 statt. Aufgrund dieser Konferenz verpflichtete sich die Frauenorganisation der Vereinten Nationen UNIFEM, Empowermentprojekte für Frauen in der Region durchzuführen. Speziell beunruhigt zeigte sich UNIFEM über "die wirtschaftlichen Konsequenzen der Globalisierung sowie die Modernisierung der Staaten und die Anwendung von Massnahmen, die soziale Aspekte vernachlässigen und den Frauen zu wenig Geld zukommen lassen". Abschliessend zu dieser Einführung möchten wir darauf hinweisen, dass wir uns vollkommen bewusst sind, dass wir ein hartes Terrain bearbeiten. Ein Terrain, das den Frauen traditionellerweise verschlossen blieb. Und trotzdem - diese Studie zeigt, dass es unumgänglich ist, die Fiskalpolitik dahingehend zu transformieren, dass sie ein wichtiges Werkzeug für die Gleichstellung der Geschlechter, für die Demokratie und für die soziale Gerechtigkeit in Guatemala ist. |
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