"Es geht nicht so sehr um die grossen Fische"
Fijáte 403 vom 06. Feb. 2008, Artikel 1, Seite 1
Original-PDF 403 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte
"Es geht nicht so sehr um die grossen Fische"
Anfang Januar nahm in Guatemala die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit CICIG ihre Arbeit auf. Leiter der Kommission ist der Spanier Carlos Castresana, der damals in Spanien den Fall des chilenischen Generals Pinochet vorangetrieben hat. Von seinen GegnerInnen wird ihm deshalb eine ideologische Färbung vorgeworfen, ebenso wird kritisiert, dass er ein Land vertrete, das in Sachen Aufarbeitung seiner eigenen Kriegsvergangenheit auch noch einiges zu leisten habe. Castresana nimmt solche Vorwürfe gelassen hin, er sei als Profi angestellt und nicht als Vertreter seines Landes. Wir veröffentlichen ein Interview mit ihm, das in der Oktoberausgabe 2007 der guatemaltekischen Zeitschrift Este País erschienen ist (www.este-pais.com). Frage: Beunruhigt es Sie, dass die Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG) eine sowohl von der guatemaltekischen Regierung wie auch von der UNO autonome Institution ist? Carlos Castresana: Ich sehe dies positiv, denn es bestärkt die Idee einer unabhängigen Instanz, die nicht einmal dem UNO-Generalsekretär unterstellt ist. Die juristische, physische und materielle Sicherheit der Kommissionsmitglieder ist jedoch vollumfänglich garantiert. Die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft ist grenzenlos, und ich denke, sie hängt nicht von politischen Konjunkturen ab, sondern von den Resultaten, die wir erzielen. Wir sind also niemandem ausser der guatemaltekischen Gesellschaft Rechenschaft schuldig. Frage: Es heisst, Guatemala sei kurz davor, ein "gescheiterter Staat" zu werden. Im Vertrag, den die CICIG mit der guatemaltekischen Regierung geschlossen hat, heisst es, die illegalen Körperschaften hinderten den Staat an seiner Aufgabe, den BürgerInnen den Schutz ihres Lebens, die physische Integrität und den Zugang zur Justiz zu garantieren. Kann eine CICIG überhaupt mit einem Staat zusammenarbeiten, dessen drei elementarsten Pfeiler einen Bückling machen vor den illegalen Mächten? C.C.: Ich sehe dies als ein wichtiges Eingeständnis Guatemalas. Natürlich ist es beunruhigend, wenn ein Staat offiziell zugibt, dass er nicht mehr in der Lage ist, die grundlegendsten BürgerInnenrechte zu garantieren. Guatemala erkennt dies an und sagt der internationalen Gemeinde: "Wir können nicht mehr, bitte helft uns". Dieser Hilferuf ist Ausdruck einer politischen Reife, denn es gibt viele andere Länder, die in einer ähnlichen Situation sind und nicht den Mut haben, dies anzuerkennen, geschweige denn, Hilfe anzufordern. Klar, die GegnerInnen interpretieren einen solchen Hilferuf als "Schwäche", als "das Handtuch werfen", aber man muss das anders sehen: Guatemala als Mitglied der UNO hat ein Problem und wendet sich an die Organisation, bei der es Mitglied ist. Frage: Eigentlich wurde damit nur öffentlich zugegeben, was wir längst schon alle wissen. Ist es aber überhaupt möglich, dass die CICIG in einem "gescheiterten Staat" ihr Mandat durchführen kann? C.C.: Die CICIG muss ja niemanden ersetzen. Es ist undenkbar, dass eine internationale Kommission, die das Land nur oberflächlich kennt, in der Lage wäre, mehr und bessere Resultate zu erzielen als die internen Institutionen. Es gibt einen Unterschied zwischen der heutigen CICIG und der ursprünglichen CICIACS, und der besteht in der Einschränkung, dass die CICIG nur auf der Grundlage der Zusammenarbeit mit anderen Instanzen arbeitet. Wir bilden aber nicht auf abstrakte bürokratische Weise Leute aus, sondern wir arbeiten an praktischen Beispielen zusammen. Das Ziel ist, mit den GuatemaltekInnen so zusammenzuarbeiten, dass wir ihnen als Erbe die Grundlage hinterlassen können, auf der sie die öffentliche Sicherheit und eine unparteiische Justiz aufbauen können. Frage: Wenn wir dem Bild folgen, dass Guatemala seine Krankheit eingesteht und die CICIG die Medizin ist, braucht es auch ÄrztInnen, Krankenschwestern, Anästhesisten etc., damit der Patient geheilt werden kann. Wenn aber die Institutionen, mit denen die CICIG zusammenarbeiten muss, infiltriert sind und in vielen Fällen im Dienste der illegalen und mafiösen Strukturen stehen, wie soll dies vonstatten gehen? C.C.: Gemäss unseren Informationen gibt es vor allem bei den Strafuntersuchungen grosse Defizite. Die Mängel bestehen sowohl im materiellen wie im humanen Bereich. Aber ich glaube schon, dass wir es schaffen, diese Institutionen, unabhängig von den zweifellos bestehenden Infiltrationen, zum Funktionieren zu bringen. Es geht darum zu unterscheiden zwischen "suspekten" MitarbeiterInnen und jenen, die Lust und den Willen zum Arbeiten haben. Es braucht auch eine Allianz mit der Bevölkerung, mit der öffentlichen Meinung. Wenn wir eine solche hinkriegen, können wir Präzedenzfälle und gute Beispiele nicht nur schaffen, sondern auch ein Umdenken innerhalb der Bevölkerung fördern. Im Moment hat niemand Erwartungen, niemand hat Hoffnung. Apathie, Trägheit und Enttäuschung beherrschen die Menschen, und dies ist natürlich ein wunderbarer Nährboden, auf dem klandestine Gruppierungen wachsen und sich stärken können. Die wenigen FunktionärInnen, die bereit sind, sich einzusetzen, erhalten keinerlei Anerkennung - im Gegenteil, sie wissen, dass sie sich exponieren und kennen das Risiko, das sie damit eingehen. Frage: Besteht nicht die Gefahr, dass die Einrichtung der CICIG Erwartungen weckt, die von der Kommission nicht erfüllt werden können? C.C.: Wir müssen vorsichtig sein, um nicht zu hohe Erwartungen zu wecken und klar durchgeben, dass wir zwar alles menschenmögliche tun, dass aber der Haupteffort und die Resultate in den Händen der GuatemaltekInnen liegt. Frage: Die Staatsanwaltschaft war bisher nicht in der Lage, Sicherheit zu gewährleisten, nicht einmal für die Opfer von innerfamiliärer Gewalt. Die Polizei und das Gefängniswesen waren ebenfalls unfähig, das Leben der ihnen anvertrauten Personen zu schützen. Wie kann in diesem Kontext der Staat für die Sicherheit der MitarbeiterInnen der CICIG und deren ZeugInnen garantieren? C.C.: Der guatemaltekische Staat hat die Verpflichtung, den Mitgliedern der Kommission Sicherheit zu garantieren, und ich habe auch das Vertrauen, dass alles unternommen wird, dies auch zu tun. Zudem haben wir unsere eigenen Sicherheitsmassnahmen. Das Thema Sicherheit ist für uns etwas Alltägliches. Viel wichtiger ist für mich, dass wir in Sachen Untersuchungen voll und ganz auf unsere guatemaltekischen Partnerinstitutionen zählen können. Frage: Und die Sicherheit der ZeugInnen? C.C.: Straflosigkeit gibt es, weil es keine guten Untersuchungen gibt. Schlechte Untersuchungen gibt es, weil die UntersuchungsbeamtInnen, die ZeugInnen, die ExpertInnen und alle sonstigen Involvierten Angst haben oder korrumpiert sind. Dies sind zwei fundamentale Tatsachen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Frage: Der CICIG stehen laut Vertrag dieselben Möglichkeiten und Dienstwege zur Verfügung, um Strafverfolgungen gegen klandestine Strukturen einzuleiten, die bisher gescheitert sind. Was ist denn der Mehrwert einer CICIG? Wie wollen Sie Strafverfolgungen grösseren Kalibers erfolgreich durchführen? C.C.: Die CICIG ist ein technisches, im höchsten Mass professionelles Organ, das weltweit die besten ExpertInnen der Materie heranzieht. Insofern haben wir schon die Hoffnung, signifikante Veränderungen bewirken zu können. Es muss ein Rahmen geschaffen werden, in dem das Gesetz zur Anwendung kommen kann. Gleichzeitig müssen wir mit den UntersuchungsbeamtInnen und den RichterInnen auf eine Weise zusammenarbeiten, dass sie an konkreten Beispielen lernen können. Wir müssen mit ihnen Präzedenzfälle durcharbeiten, die nicht nur auf theoretischer, sondern auch auf praktischer Ebene nachvollziehbar sind. Nach oben |
Frage: Welche Strategie verfolgt die CICIG in der Auswahl der Fälle? C.C.: Wir müssen diejenigen Fälle auswählen, die in einem vernünftigen Zeitrahmen und realistischerweise eine Chance auf Erfolg haben. Unsere Priorität ist, uns im Land zu etablieren. Frage: Können wir von der CICIG erwarten, dass sie eine Unterstützung der Staatsanwaltschaft ist, indem sie zusätzliches Beweismaterial liefert und die Muster aufzeigt, denen FunktionärInnen z.B. der Polizei, AnwältInnen und RichterInnen gehorchen? C.C.: Unser Mandat konzentriert sich auf delinquente Gruppierungen, nennen wir sie illegale Körperschaften oder klandestine Systeme, die innerhalb der staatlichen Institutionen walten und in der Lage sind, für sich Straflosigkeit zu erreichen. Insofern ist das Studium dieser Gruppen, das Kennenlernen ihrer Hierarchien und ihres Funktionierens durchaus Teil unseres Mandats. Zweifellos müssen wir aber auch auf eine direkte Strafverfolgung hinarbeiten. Dazu hat man uns den Status einer Nebenklägerin gegeben. Frage: Nebenklägerin im Fall eines "grossen Fisches"? C.C.: Es geht nicht so sehr um die "grossen Fische", sondern um Fälle, mit denen tatsächlich etwas bewirkt und ein Paradigmenwechsel herbeigeführt werden kann. Frage: Gibt es denn bei der Auswahl der Fälle ein Gleichgewicht zwischen den paradigmatischen Fällen und den nicht minder wichtigen, aber vielleicht auf nationaler Ebene nicht so eindrucksvollen Fällen? C.C.: Es ist sicher schwierig, hier ein Gleichgewicht zu finden, aber wir sind uns bewusst, dass es etwas zwischen dem "Fall der Fälle" und einem Bagatell-fall sein muss. Es sollen Fälle sein, die in der öffentlichen Meinung Interesse wecken und die als Beispiel oder Referenzpunkt dienen. Gleichzeitig sollten die Fälle lösbar sein, damit wir uns nicht in endlosen Untersuchungen verlieren. Ansonsten würden wir am Schluss den Beweis liefern, dass die Straflosigkeit immer gewinnt und dass nicht einmal die internationale Gemeinschaft in der Lage ist, dem etwas entgegen zu setzen. Frage: Wie wird Ihre Berichterstattung aussehen? C.C.: Unsere öffentliche Berichterstattung kann jederzeit stattfinden. Sie wird eher genereller Art sein und nicht spezifische Fälle beinhalten. Die Berichterstattung soll vielmehr Teil einer Bewusstseinskampagne sein, mit der z.B. die Universitäten, die Medien oder Nichtregierungsorganisationen arbeiten können. Die Unterstützung der öffentlichen Meinung gibt uns auch ein Stück Sicherheit. Frage: Wo braucht es Gesetzesänderungen oder veränderte administrative Abläufe, damit die Straflosigkeit ausgemerzt werden kann? C.C.: Wir haben eine Umfrage gestartet bei unseren offiziellen Partnerinstitutionen, aber auch innerhalb der Zivilgesellschaft, damit sie uns als KennerInnen des Systems sagen, wo sie die Schwachpunkte sehen. Ich hoffe, dass es möglichst wenige wirkliche Systemfehler gibt, denn ich weiss, dass eine Gesetzesreform eine langwierige Angelegenheit sein kann, die wir uns als kurzfristig eingesetzte Institution eigentlich nicht leisten können. Unsere Idee ist, dass wir kurzfristig und mit den vorhandenen Werkzeugen arbeiten können und höchstens Vorschläge machen für notwendige längerfristige "chirurgische" Eingriffe. Frage: Ist es nicht etwas suspekt, dass Guatemala nicht über eine Staatspolitik in Sachen Verbrechensbekämpfung verfügt? C.C.: Ich glaube, das ist ein Ausdruck der aktuellen Krise. Es ist unmöglich, in Momenten der Uneinigkeit eine gemeinsame und von allen akzeptierte Politik zu gestalten. Hier sehe ich wieder eine Chance für die CICIG, die über den internen und externen Spaltungen linker und rechter politischer Parteien steht. Wir können Probleme allgemeiner Natur angehen, die keine der bestehenden Parteien überhaupt auch nur ansprechen kann. Frage: Wie ist die Akzeptanz der CICIG von den Institutionen, mit denen Sie zusammenarbeiten werden und bei der internationalen Gemeinschaft? C.C.: Ich erfahre eine uneingeschränkte Akzeptanz seitens der internationalen Gemeinschaft und ich bin überzeugt, dass ihre Unterstützung nicht nur finanzieller Art ist. Auch von der guatemaltekischen Gesellschaft bekomme ich mehrheitlich positive Reaktionen, die von uns Initiativen erwarten, denen sich die Bevölkerung anschliessen kann. Es geht uns ja darum, den Rechtsstaat zu stärken, die Demokratie als politisches System anzuerkennen. Viele Menschen glauben, dass die Tatsache, dass alle vier Jahre ein Präsident gewählt wird, der dann auch sein Amt antritt, bereits Demokratie sei. Das ist sicher eine Grundvoraussetzung, aber die Grundlage eines Rechtsstaates ist, dass das Recht auch angewendet wird, die Bevölkerung sich geschützt und von ihren Institutionen vertreten fühlt. In einem Land, in dem die Bevölkerung ihren Institutionen misstraut und sie deshalb meidet, kann man nicht von Demokratie sprechen. Frage: Eine der Grundbedingungen, damit die Kommission erfolgreich arbeiten kann, ist Diskretion. Eines der grossen Übel in Guatemala ist jedoch, dass die Medien diesen Begriff nicht kennen und keinerlei Zurückhaltung üben. Welche Massnahmen wird die Kommission in dieser Beziehung treffen? C.C.: Wir werden uns nicht gross hervortun, denn das Rezept für unseren Erfolg ist Diskretion. Anderseits gibt es natürlich das Recht auf Information. Wir werden also eine Gratwanderung machen müssen zwischen Veröffentlichen und Verschweigen von Information. Dabei wird für uns immer der entsprechende Fall im Mittelpunkt stehen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch an die Verantwortung der Medien appellieren. Sie sollen darauf vertrauen, dass wenn ich einmal keine Information geben kann, dies im Interesse des Falles ist und nicht gegen sie. Wenn es etwas zu sagen gibt, bin ich der erste, der ohne Hemmungen und falsche Rücksichtnahmen spricht. Frage: Die Regierung hat 50 Mio. Quetzales (ca. 5,8 Mio. US-$) im Budget 2008 für die CICIG bereitgestellt. Der Betrag erscheint im Budget des Innenministeriums. Wie wird dieses Geld ausgegeben? C.C.: Es ist mir wichtig festzuhalten, dass die CICIG kein Geld von der guatemaltektischen Regierung erhält. 100 Prozent der Finanzierung stammt von externen Geldgebern, die einen Betrag in einen Fonds der UNO eingezahlt haben. Das Geld der guatemaltekischen Regierung fliesst vor allem in den Schutz des Personals und der Gebäude, die von der CICIG gemietet werden. Der Rest des staatlichen Geldes fliesst in die Stärkung jener Institutionen, mit denen die CICIG zusammenarbeitet. Frage: Weshalb haben Sie diesen Job akzeptiert? C.C.: Es gibt keinen speziellen Grund. Ich glaube, es ist die Fügung meines beruflichen Schicksals und anderer "Unfälle". Ich war bereits 2003 bei der Ausarbeitung der Vorschläge für die CICIACS dabei und später bei der Definition der CICIG. Ausserdem hat mich beruflich schon immer die Kombination von Menschenrechten, Delinquenz und Korruption fasziniert, insofern war ich fast prädestiniert für diesen Posten. Es ist sicher kein einfacher Job, aber es ist eine Herausforderung für mich, einem Land in einer schwierigen Situation zu helfen. Einem Land, das darum kämpft, seine bürgerlichen und politischen Rechte einzufordern. |
Original-PDF 403 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte