Abrupte Wechsel im Innenministerium
Fijáte 415 vom 30. Juli 2008, Artikel 2, Seite 3
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Abrupte Wechsel im Innenministerium
Der neue Innenminister: Francisco Jiménez IrungarayFünf Tage nach der Tragödie, bei der Innenminister Vinicio Gómez und sein Stellvertreter Edgar Hernández sowie die zwei Piloten des verunglückten Hubschraubers ums Leben kamen, gab Präsident Álvaro Colom die Namen derjenigen bekannt, die die Posten nun übernehmen werden: Es sind dies Francisco José Jiménez Irungaray als Innenminister und Emilio Arnoldo Villagrán Campos als Vizeminister. Jiménez fungierte als Berater bei dem Entwurf und der Implementierung der Generaldirektion des Zivilen Geheimdienstes (DIGICI), die er seit 2007 bis dato geleitet hat. Zwischen 2000 und 2004 war er beim Sekretariat für Strategische Analysen (SAE) tätig als Direktor der Analyseabteilung, als Sonderberater und schliesslich als Leiter des Sekretariats, bevor er im Beratungsrat für Sicherheitsfragen (CAS) Fachsekretär war. Jiménez´ Berufung zum Innenminister ist von der Zivilgesellschaft wohlwollend aufgenommen worden. So kommentiert der Sicherheitsexperte und Politanalyst Sandino Asturias vom Studienzentrum von Guatemala (CEG): "Die Ernennung von Francisco Jiménez bedeutet, dass einige positive Prozesse, die Vinicio Gomez in den Stiel gestossen hat, weitergeführt werden. Wir betrachten das als etwas deutlich Positives." Gemäss dem Analysten wird innerhalb der Regierung ein Machtkampf geführt um die Kontrolle des Sicherheitsbereichs. "Die Gruppe von (Carlos) Quintanilla dominiert einen guten Teil der Sicherheitsthemen. Es herrscht ein Disput zwischen dieser Gruppe und denjenigen, die sich ihm wegen gewisser Kontrollfunktionen und Geschäfte widersetzen." Nach Meinung von Asturias gibt es Machtgruppen, die bereits gegen die Ernennung von Vinicio Gómez waren und die jetzt ihren Nutzen aus dem Tod von Gómez ziehen könnten. Dabei unterlässt es Asturias beflissentlich explizit Quintanilla hinter diesen Interessen zu nennen. Unabhängig davon ist von Francisco Jiménez die Fortdauer der eingeschlagenen Richtung von Gómez zu erwarten und somit die Neutralisierung jeglichen "Schachzuges" seitens jener Gruppierungen. Ähnlich sieht es Edgar Gutiérrez, ebenfalls ehemaliger Leiter des Sekretariats für Strategische Analysen (SAE): "Die Berufung von Francisco [Jiménez] entspricht keiner der traditionellen Interessensgruppen oder Gruppen, die dem Präsidentensitz den Hof machen. Francisco ist ein integrer Fachmann. Seine Stärke ist der strategische und Kriminalgeheimdienst. Seine Schwäche ist das operative Geschäft. Für ihn wird es eine Herausforderung sein, die Polizei und deren Alltäglichkeiten zu regieren." Gutierrez streicht vor allem die Erfahrung heraus, die Jiménez in der SAE im Bereich des zivilen Geheimdienstes gemacht hat: "Jiménez und das Team, das er hinter sich hat, sind der konkrete Beweis dafür, dass die Reform der SAE, die wir 2000 in Angriff genommen haben, die richtige war. Auch wenn die SAE ab 2004 zerpflückt und inzwischen völlig umgekrempelt worden ist, bleiben doch lebende Beweise dafür, dass das, was wir gemacht haben, in die richtige Richtung ging: Kapazitäten mit institutionellem Instinkt auszubilden, die sowohl der Rechtmässigkeit als auch dem demokratischen Geist treu sind. Der neue Vizeinnenminister: Emilio Arnoldo Villagrán CamposDie Berufung von Emilio Arnoldo Villagrán Campos für die Ersetzung von Edgar Hernández Umaña als Vizeinnenminister wird durchaus als Überraschung bezeichnet. Villagrán war militantes Mitglied einer der Guerilla-Kader der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) während des internen bewaffneten Konflikts. Anschliessend arbeitete er als Politanalyst im inzwischen aufgelösten Institut für Politische, Wirtschaftliche und soziale Studien (IPES). - IPES wurde Ende der 90er Jahre von dem ehemaligen Guerilla-Anführer Arnoldo Noriega (2002 verurteilt zu zunächst 20, schliesslich zu acht Jahren Haft wegen sexuellen Missbrauchs an seiner Adoptivtochter) gegründet als Analyse-Institut, aber auch zur Unterstützung der URNG-RepräsentantInnen vor der Begleitkommission zur Verhandlung der Friedensverträge. Zeitweilig galt das IPES als Denkfabrik der Linken, scheiterte jedoch schliesslich als Noriega verurteilt wurde, aber auch wegen Streitigkeiten innerhalb der URNG. Schliessslich startete Enrique Álvarez, ehemaliger Mitarbeiter von Noriega im IPES und bis dieser Tage Mitglied im Beratungsrat für Sicherheitsfragen (CAS), gemeinsam mit Otto Zeissig, der unter der Regierung Berger stellvertretender Sekretär der SAE war, den Versuch mit dem täglichen Analyse- und Nachrichtendienst Incidencia Democrática (IDEM), für den auch Villagrán tätig war. Ausserdem war Villagrán beteiligt an der Formulierung der Verteidigungspolitik und dem Weissbuch von Guatemala, der Militärdoktrin sowie dem Verteidigungsgesetz und der Verteidigungspolitik als Staatspolitik. Gleichwohl ist er wenig bekannt. Allein Carmen Rosa de León Escribano, Direktorin des Instituts für die Erziehung für eine nachhaltige Entwicklung (IEPADES) und des CAS äussert sich zu Villagráns Ernennung: "Emilio war eine Überraschung. Wir kennen ihn mehr im Zusammenhang mit dem Thema der Verteidigung als in Sachen Innerer Sicherheit. Wir sehen seine Berufung nicht ungern, aber sie erscheint uns doch etwas verwunderlich." Nach oben |
Erste AmtsvorgängeZwei Tage nach der Vereidigung auf seinen neuen Posten kündigte Innenminister Jiménez eine Reihe von Entlassungen von Funktionären in seinem Ressort und die Neubesetzung der Stellen an. Darunter befinden sich der Berater in Sachen Geiselnahmen, Alfredo Ruano, der Vizeminister, der zuständig ist für die Kommunale Unterstützung, Raúl Arandi Ramírez, sowie der Sprecher des Ministeriums, Ricardo Gatica Trejo. Carlos Ovidio Rodas, Vizeminister zur Unterstützung des Justizsektors und Mitglied des Kreises vom verstorbenen Minister Gómez, bleibt im Amt. Die Entlassung von Ruano und Arnadi ist insofern bedeutsam, als dass beide zum Kreise des Sekretärs für Verwaltungs- und Sicherheitsangelegenheiten (SAAS), Carlos Quintanilla, gehören und von diesem empfohlen worden sind. Diesem wiederum wird ein unsachgemässer Einfluss auf die Besetzung von Posten im Bereich Innere Sicherheit nachgesagt. Oberstleutnant Gilberto Alfredo Ruano Tejada wurde als Nachfolger von Víctor Rivera ernannt, der wenige Tage nach Bekanntgabe seiner Entlassung aus dem Staatsdienst ermordet wurde, wobei diese Entscheidung in ihrem Moment bereits sehr kontrovers diskutiert und vor allem von Menschenrechtsorganisationen kritisiert wurde (¡Fijáte! 408). Ruano war von 1988 bis 1994 Spezialist im ehemaligen Präsidialen Generalstab (EMP) unter den militärischen Geheimdienstchefs Edgar Godoy Gaitán, Francisco Ortega Menaldo und Otto Pérez Molina. Ausserdem ist Ruano Verwalter und rechtlicher Vertreter zweier Sicherheitsfirmen, die unter anderem für bekannte und mächtige Unternehmen wie Cementos Progreso tätig sind. Diese Firma führt seit einiger Zeit heftige Auseinandersetzungen mit den EinwohnerInnen von San Juan Sacatepéquez, die sich der Inbetriebnahme einer Zementfabrik von Cementos Progreso widersetzt. (¡Fijáte! 413) Marco Tulio Arévalo Arévalo, der Arandi Ramírez ersetzen wird, und Ariel Godínez als Ersatz von Ruano, gehörten im Gegensatz zu ihren Vorgängern nicht zu Quintanillas Leuten, sondern arbeiteten in der SAE unter Edgar Gutiérrez, genauso wie der jetzige Innenminister Jiménez, der Gutiérrez SAE-Leitungsposten übernahm, als dieser unter Alfonso Portillo zum Aussenminister ernannt wurde.´ Nach der Absetzung von Ruano und Arandi bleibt nun abzuwarten, ob dies tatsächlich zu einer Schwächung der Macht von Quintanilla führt. Ohne Zweifel bleibt die Frage, wie dieser auf die von Jiménez durchgesetzten Veränderungen antworten wird und bis zu welchem Punkt er als politischer Akteur mit einem nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Exekutive neutralisiert wird. Und es geht noch weiter: Es hängt die Idee in der Luft, dass es noch mehr Wechsel geben wird, vor allem von Figuren in seiner Nähe. Die Macht des Carlos QuintanillaDie Myrna Mack-Stiftung stellt fest, dass "Carlos Quintanilla, Sicherheitsunternehmer und aktueller Leiter des Sekretariats für Verwaltungs- und Sicherheitsangelegenheiten der Präsidentschaft der Republik (SAAS) dazu neigt, die Machtachse der aktuellen Administration in Sachen Sicherheit zu sein." Seit Álvaro Coloms Amtsantritt wurde das Einmischen von Quintanilla in Themen der Sicherheit in Frage gestellt, die dem Innenministerium oder dem der Verteidigung obliegen. Er ist einer von Coloms Financiers der Wahlkampagne und als Leiter der SAAS zuständig für die Verwaltung der Casa Presidencial, die Reisen des Präsidenten sowie für die 700 AgentInnen der SAAS und die 400 der Präsidentengarde. Quintanilla wird eine massgebliche Rolle zugeschrieben in der fragwürdigen Berufung von Militärs im staatlichen Sicherheitssektor. So forderte er die Entlassung von Víctor Rivera als Berater des Innenministeriums für Geiselnahmen und die Ernennung von Alfredo Ruano Tejada als dessen Nachfolger, er setzte Gustavo Solano auf den Chefsessel der SAE und hievte seinen Freund und Sozius Édgar Hernández auf den Posten des Vizeinnenministers, der bei dem Hubschrauberunglück neben Vinicio Gómez ums Leben kam, sowie Marco Tulio García Franco auf den Posten des Verteidigungsministers und als Finanzdirektor des Militärs protegierte Quintanilla Luis Ronaldo Cámbara. |
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