Knapp zwei Wochen Demos, Semana Santa - und dann?
Fijáte 331 vom 30. März 2005, Artikel 3, Seite 4
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Knapp zwei Wochen Demos, Semana Santa - und dann?
Guatemala, 24. März. Mit der Demonstration zum Weltfrauentag am 8. März startete eine Reihe von Manifestationen, die sich in der ersten Woche mehrheitlich auf die Hauptstadt konzentrierten und sich mit dem Aufruf zum Grossen Nationalen Streik am Montag, 14. März, auf ganz Guatemala ausbreitete. Anlass war die letztendlich vom Kongress eilig vorangetriebene Ratifizierung des Freihandelsabkommens zwischen Zentralamerika, der Dominikanischen Republik und den USA ("TLC RD-CAUSA" (siehe ¡Fijáte! 330). Dabei stellen sich eine Menge Fragen, deren Antworten wir schuldig bleiben. Mindestens zwei davon beziehen sich auf den Aspekt der Zeit: Welches Interesse hat die Regierung, das staatsförmliche Procedere einer Ratifizierung, die drei Lesungen des Gesetzesvorschlags im Kongress umfasst, zu umgehen und Holter-die-Polter ein Paket von Vorlagen durchzuwinken, das Auswirkungen auf das ganze Land in einem Mindestzeitraum von 25 Jahren - und durch die damit grundsätzlich eingeführten Veränderungen für viele Generationen mehr - haben wird? Die Vereinbarungen des TLC werden zudem die nationalen Gesetze dominieren und das Land auf den unterschiedlichsten Ebenen der Willkür und dem Goodwill der transnationalen Unternehmen aussetzen, die durch die stufenweise Zollaufhebung auf diverse Produkte und Leistungen freien Zugang auf die Märkte der zentralamerikanischen Länder geniessen werden. Ein ganz heisser Punkt dabei ist die Option der Konzessionen für (ausländische) Investitionen - somit steht die Privatisierung diverser nochstaatlicher Aufgaben in Bälde vor der Tür, gegenüber denen nationale Unternehmen wohl keine Wettbewerbschancen haben. Auf den zahlreichen Demonstrationen der letzten zwei Wochen wurde denn auch von der erneuten Kolonialisierung Guatemalas gesprochen. Es gibt wohl noch Möglichkeiten, dieser Zukunft entgegenzutreten, indem von Guatemala Zusatzregelungen beispielsweise in Bezug auf die Arbeits-, Migrations-, Umwelt- und eben die Konzessionsbedingungen modifiziert werden. Gemäss Ex-Präsident Vinicio Cerezo habe es von Seiten der Regierung im Verlauf der Verhandlungen keineWirkungsanalysen dessen gegeben, was unter anderem die tatsächlichen Entwicklungen von Arbeitsplätzen, Löhnen und Wettbewerbsfähigkeit unter TLC-Bedinungen angeht. Cerezo widerspricht der Behauptung vieler TLC-Eiliger, dass, nachdem El Salvador und Honduras das Freihandelsprojekt bereits ratifiziert haben, Guatemala den Anschluss verlieren und für immer aussen vorbleiben würde, wenn der TLC nicht baldigst ratifiziert worden wäre. In Kraft treten wird das Abkommen in dem Moment, in dem es von zwei Ländern ratifiziert wird - wobei eines dieser Länder die USA sein muss. Und hier stellt sich die nächste Zeitfrage: Was steckt hinter der guatemaltekisch-ungewöhnlichen Hektik, ist doch noch gar nicht klar, ob im US-Kongress überhaupt die nötigen Stimmen zusammenkommen. Denn auch im Land des Nordens ist nicht nur auf zivilgesellschaftlicher Ebene die Ablehnung des TLC verbreitet. Doch auch die Zivilgesellschaft Guatemalas muss sich eine Zeitfrage gefallen lassen: Seit mindestens zwei Jahren ist der TLC im Gespräch, die diversen Organisationen verfügen bereits über viele - oft wohl gleich archivierte Dokumente, und es wird drei Tage vor der anvisierten Ratifizierung zur Demonstration aufgerufen? Alle schieben die Verantwortung auf andere ab und könnendoch nicht überzeugen. Die einen antworten, dass die Organsitionsdirektion andere Prioritäten gesetzt habe, andere, dass für eine nötige Analyse keine Gelder dagewesen seien, da die internationalen UnterstützerInnen zwar den Widerstand, aber keine Studien des Für und Wider finanzieren wollten. Neben den "Strassenaktivitäten", die die Tage vor den Osterferien ausfüllten und mit jeder Zusammenkunft, die alle von der Indigenen- BäuerInnen-, GewerkschafterInnen- und Volksbewegung MICSP organisiert wurden, an Masse kleiner wurden, stellte es sich als sinnvoll heraus, die Demophase auch mit legalen Mitteln zu sekundieren. So wurde nicht nur von fünf RepräsentantInnen nebenstehende Klage an die Staatsanwaltschaft eingereicht. In Arbeit ist derweil auch ein Einspruch gegen das TLC-Gesetz aufgrund von Verfassungswidrigkeit. Der Aufhänger für diesen ist die Verletzung des Artikels 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der den Staat zur Volksbefragung verpflichtet, wenn die Folgen einer Exekutiv-Entscheidung Auswirkungen auf das Leben der Bevölkerung hat, was beim TLC unleugbar der Fall ist. Nach oben |
Bislang hat sich die Regierung diesbezüglich damit herausgeredet, dass es keine Gelder für eine Konsultation gebe. Die Gewaltausschreitungen während der Demonstrationen an einigen strategischen Punkten des Landes werfen weitere Fragen auf. Dass die Staatsmacht in Sachen Ordungswahrung zur Bedrohung der Bevölkerung wurde, in dem Militär und Polizei exzessiv und ohne Anlass gegen die Demonstrierenden vorgingen, verdient die erhaltene internationale Verurteilung und Solidaritätsbekundung. Auch dass wieder einmal JournalistInnen sowohl körperlich angegriffen wurden als auch, wie im Fall der zwei Radio-ReporterInnen Marielos Monzón und Gabriel Mazzarovich, Morddrohungen bekommen, ist deutliches Zeichen der auflebenden Staatsrepression. Aber wieso war es erst bei der nächsten Demo nach den Ausschreitungen am 14. März in der Hauptstadt möglich, die von Militär und Polizei in die Demomasse infiltrierten Randalierenden auszumachen und dem Menschenrechtsprokurat (PDH) zu übergeben? Und eine weitere Frage ist nicht zu unterschlagen: Wie soll es nun weitergehen? Mit Respekt auf die Kar-Woche und den diesbezüglichen Ausnahmezustand im Land wolle man - so angekündigt - sich sammeln, um dann nach Ostern mit neuen Kräften aktiv zu werden. Für Ostermontag sind die nächsten Aktionen angesagt, doch wird es nach den Feiertagen enorme Kraft und vor allem eine bessere Organisation zwischen den im MICSP vereinten Gruppierungen und innerhalb dieser brauchen, um die Strassen auch nur ansatzweise zu füllen, die Motivation liess doch schon vor den Ferien beachtlich nach. Immerhin von Seiten der MICSPFührung wird das bislang Erreichte als Erfolg bewertet. Ein Aspekt ist dabei die Tatsache, mit dem TLC die soziale Bewegung wiederbelebt zu haben und diverse AkteurInnen in eine gemeinsame Bewegung gebracht zu haben. Es ging sogar das Gerücht um, Guatemala gelte mit seiner öffentlichen TLC-Ablehnung in den anderen zentralamerikanischen Ländern als Vorbild des zivilen Widerstandes, habe sich doch die Bevölkerung weder in El Salvador noch in Honduras grossartig gerührt, als der TLC dort ratifiziert wurde. Aber dass sich Vizepräsident Eduardo Stein mit den dirigentes der MICSP für vier Stunden zum Dialog gesetzt hat, galt bereits als Zeichen dafür, tatsächlich mit den Aktionen die Regierung in Bewegung setzen zu können. Menschenrechtsprokurator Morales, Kardinal Quezada Toruño und der Rektor der Universität San Carlos, Luis Leal, waren als Vermittler einberufen, doch die Initiative brach ab, da die Regierung nicht auf die Forderungen eingehen wollte, die neben der Absetzung von Innenminister Vielmann und Polizeichef Sperisen den Rückzug von Polizei und Militär, die Nicht-Veröffentlichung des TLC-Dekrets im Amtsblatt sowie den Widerruf des Konzessionsgesetzes beinhaltete. |
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