"Das Urteil im Fall Gerardi ist für uns ein Triumph"
Fijáte 332 vom 13. April 2005, Artikel 1, Seite 1
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"Das Urteil im Fall Gerardi ist für uns ein Triumph"
Weiterhin bleibt die Frage nach dem oder den Hauptverantwortlichen für den vor sieben Jahren begangenen Mord an Monsignore Juan José Gerardi offiziell ungeklärt. Am vergangenen 22. März hat die Zweite Berufungsinstanz des Gerichts ein neues Urteil verkündet, das den Rechtsspruch vom 8. Juni 2001 ersetzt. Mit einer Gegenstimme wurden somit die Haftstrafen von je 30 Jahren für die Militärs Byron Disrael Lima Estrada und dessen Sohn, Hauptmann Byron Miguel Lima Oliva, auf je 20 Jahre reduziert, die sich bei guter Führung noch einmal verringern können. Die Verurteilten gelten nun nicht mehr als Mittäter, sondern als Komplizen, bedingt durch den mutmasslichen Grad ihrer Beteiligung am Verbrechen. Das Strafmass von 20 Jahren für den bereits 2001 als Komplizen verurteilten Priester Mario Orantes wurde bestätigt. Alle drei sitzen ihre Strafen seit 5 Jahren ab. Der vierte Verurteilte, Obdulio Villanueva, wurde im Februar 2003 bei einem Aufstand im Gefängnis, wo er seine Strafe absass, ermordet. Mit Schlägen auf den Kopf war Bischof Gerardi am 26. April 1998 in seinem Haus brutal ermordet worden, rund 54 Stunden nach der Präsentation des Berichts "Guatemala Nie wieder" des Projekts zur Wiedererlangung der Historischen Erinnerung - REMHI. In diesem werden mehr als 55´000 Verletzungen der Menschenrechte während des bewaffneten Konflikts dokumentiert, von denen die Mehrheit der Verantwortung des guatemaltekischen Militärs zugeschrieben wird. Im folgenden Interview erläutert Mario Gonzalo Domingo Montejo, für den Fall zuständiger Rechtsanwalt vom Menschenrechtsbüro des Erzbischofs (ODHAG), die Komplexität dieses Exempels für den Konflikt zweier das Land dominierenden Mächte: der Katholischen Kirche und dem Militär. Frage: Vor der Urteilsverkündung erwartete die ODHAG laut Medienberichten die Bestätigung des ersten Urteils gegen die Lima. Nachher war zu lesen, dass sie mit dem zweiten, nun endgültigen Urteil, das die Strafen und vor allem die mutmassliche Verantwortung der Militärs erheblich mindert, ebenfalls zufrieden ist. Ist das kein Widerspruch? Mario Domingo: Nun, dieser Fall ist ziemlich vielschichtig und schwierig, was auch ein Grund dafür ist, dass wir bereits seit sieben Jahren daran arbeiten. Unsere und alle anderen Beweise, die dem Gericht vorlagen, haben faktisch die Verantwortung der Militärs als Täter des Verbrechens festgestellt sowie die Teilnahme des Priesters Mario Orantes als Komplize. Doch der Fall ist politisch manipuliert worden. Zum einen auf parteipolitischer Ebene, wie im Fall des Ex-Präsidenten Alfonso Portillo, der den Fall allein dafür genutzt hat, um die Sympathien der Bevölkerung zu gewinnen. Indes hat die Regierung unter ihm so gut wie nichts getan, um das Verbrechen aufzuklären. Diese Arbeit oblag der Staatsanwaltschaft und dem ODHAG. Unter den heutigen politischen Umständen und nach der ganzen Medienkampagne, die um den Fall gemacht wurde, ist also ein gewisser Triumph. Denn es wird nicht gesagt, dass die Militärs unschuldig seien. Frage: Wie war das mit der Medienkampagne? M. D.: Von Seiten der Konservativen und den Parallelmächten, die hinter dem Tod von Monsignore Gerardi stekken, wurden nach dem ersten Urteil die Medien genutzt, um widrige Rahmenbedingungen für den Fall zu schaffen.Es wurde ein Buch voller Lügen publiziert, geschrieben von zwei AusländerInnen. Es trägt den Titel "Wer tötete den Bischof?". Die AutorInnen sind die JournalistInnen Maite Rico und Bertrand de la Grange (siehe ¡Fijáte! 299). Wir sind durchaus im Stande, diese Lügen aufzudekken und werden dies auch tun. Doch es erschien uns nicht opportun, dies bereits zu unternehmen, da es bloss zur weiteren Politisierung des Falles beigetragen hätte, während das Rechtsverfahren noch nicht abgeschlossen war. Durch das Buch wurde eine öffentliche Meinung gebildet, dass die Aussagen über den Totschlag, die zur Verurteilung der Angeklagten fühten, erfunden seien. Eine solche Kampagne kostet einiges und wurde von Leuten unterstützt, die sowohl das Geld wie ein Interesse daran hatten, diese Lügen zu verbreiten. Wir wissen, dass allein der Druck eines ersten Buches gegen die Position des ODHAG und gegen die Haltung der Katholischen Kirche hier in Guatemala 68´000 Quetzales gekostet hat. Dieses erste Buch liess sich jedoch nicht verkaufen. Für das Buch von Rico und de la Grange entwickelte man dann ein spezielles Marketing und diesmal klappte es. Wie gesagt, die nötigen Beweise gegen diese Lügen haben wir, aber es ist schwierig, diese Gegeninformation öffentlich bekannt zu machen. Frage: Wer steckt hinter dieser Kampagne? M. D.: Wir wissen, dass diese Kampagne von ranghohen und zum Teil pensionierten Militärangehörigen lanciert worden ist. Diese Leute setzen alles daran, dass die Wahrheit nicht ans Licht kommt. Tatsächlich beweist das Buch "Wer tötete den Bischof?", die Nähe der beiden AutorInnen zur Militärintelligenz. Wir haben inzwischen Zeugenaussagen, die berichten, dass sich die AutorInnen mit hohen Militärs getroffen haben, und logischerweise resultierte alles, was sie ermittelt und veröffentlicht haben, zugunsten der Militärs. Dann bekam das Buch auch noch Rückendeckung vom Schriftsteller Vargas Llosa, von dem ich annehme, dass er keine Ahnung in dieser Angelegenheit hat. Aber es hat auf jeden Fall den Weg geebnet für die Verbreitung dieses äusserst tendenziösen Buches, das Grundlage für ganz viele Spekulationen geworden ist. Ich glaube, dass diese Herrschaften sich sehr gut im Nutzen von Propaganda auskennen und darin, den Leuten Lügen als Wahrheiten aufzutischen. Währenddessen fühlen wir uns von Seiten der Medien deplatziert und unsere Position marginalisiert, wir sehen uns extrem limitiert darin, zeigen zu können, dass das Buch in Wahrheit voller Lügen ist. Frage: Kannst du ein Beispiel für die Lügen geben? M. D.: Das ist einfach. Manche Behauptungen darin sind tatsächlich heftig. Auf Seite 226 des Buches wird gesagt, dass einer der beschuldigten Akteure angeblich nie Angehöriger des Militärs gewesen sei. Daraufhin sind wir hingegangen, haben Unterlagen und Archive durchsucht und ihn sowohl in Listen sowie auf Fotos in Uniform, auf Militärgelände und mit anderen Militärs gefunden! Frage: Edgar Gutierrez, damaliger Leiter der ODHAG, sagt aus, dass er nie von den JournalistInnen konsultie rt worden sei, aber in dem Buch mehrmals zitiert würde. M. D.: Oh ja, wie gesagt, darin steht viel, was gar nicht stimmt. Genauso wie mit Marta Altolaguirre. Sie wurde nach der Publikation auf ihre vermeintliche Aussage in dem Buch angesprochen, woraufhin sie meinte, dass sie das, was dort steht, nie gesagt habe, und das, was sie gesagt habe, nicht zu lesen sei. Und das betrifft viele der angeblich Zitierten. Der Text lässt einfach sehr viele Informationen weg. Der Fall ist ein Fall mit vielen Nuancen, er nutzte für viele Intrigen und diente vielen Interessen, das ist schon spannend. Nehmen wir als Beispiel die Verantwortung des Ex-Präsidenten und heutigen Bürgermeisters der Hauptstadt, Álvaro Arzú, bei der Verschleierung des Verbrechens. Uns liegen Dokumente vor, die belegen, dass Leute, die in Verbindung zu ihm standen oder für ihn arbeiteten - dabei beziehe ich mich konkret auf einen persönlichen Sekretär von Arzú - sich darum kümmerten, glauben zu machen, dass das Verbrechen auf einen Teufelspakt der Sekte Valle del Sol zurückzuführen sei. Frage: Wie seid ihr mit der Situation umgegangen? M. D.: Angesichts dieser Aggression und der Macht, die hinter den Medien steckt, fühlten wir uns sehr eingeschränkt und die Situation wurde sehr bedrückend. Schliesslich wurde von diversen Fehlern in dem ersten Urteil gesprochen und gesagt, dass es ganz einfach wäre, das Urteil zu kippen, aber stets auf vager Ebene, niemand spezifizierte die Fehler. Wir hingegen sind davon überzeugt, dass das Urteil in Erster Instanz über die gesetzliche Verankerung verfügte und auf der Grundlage von Beweisen, die die Verantwortung der Militärs belegen. Es wurde viel über den ersten Rechtsspruch diskutiert, geredet, geurteilt. Unsere Taktik war, nicht auf solche Provokationen wie z.B. die von Armando de la Torre zu reagieren, der sich in den Sprecher der Lima verwandelt hat und unsere Arbeit in Frage stellt. Herr de la Torre ist eine wichtige Person in den intellektuellen Kreisen des Landes. Er monopolisiert praktisch die Aktivitäten der Universität Rafael Landívar, hat öffentliche Präsenz und eine unleugbaren Affinität zu den Interessen der Militärs. Wir haben immer gesagt, dass wir keine Angst vor einer zweiten Gerichtsdebatte haben. Es schlaucht uns, aber mehr als sonst sind wir völlig davon überzeugt, dass diese verurteilten Herren die Verantwortlichen sind. Frage: Hat sich jetzt unter Berger die Positionierung der Medien verändert? M. D.: Die Medien suchen generell Informationen, die sich gut verkaufen lassen, das passiert überall auf der Welt. Der Fall Gerardi hat nationale wie internationale Aufmerksamkeit hervorgerufen und war natürlich ein Fall für die Schlagzeilen. Es gab eine gewisse Verpflichtung, das Verbrechen aufzuklären. Wir haben keinen Einfluss auf die Medien, um sagen zu können: ,,macht dies oder publiziert das". Auch wenn Nach oben |
ich als Anwalt beispielsweise in den Fall des Präsidenten der Tageszeitung elPeriódico Zamora involviert war, nutzen wir diese Situation nicht aus, um mit Artikeln in elPeriódico unsere Situation zu stärken. In dieser Zeitung gibt es sogar viele KolumnistInnen, die gegen uns argumentieren und nur sehr wenige unterstützen unsere Position. Es war, als ob jene Personen den ersten Stein werfen würden und auf uns ein ganzer Steinregen fällt. Dennoch, angesichts der Bombe, die dieses Buches darstellte, wurde das ODHAG in den Medien ignoriert. Uns kommt es auch zugute, dass nichts von der Arbeit publiziert wird, die wir realisieren. Denn in diesem Masse wird garantiert, dass unsere Arbeit vorsichtiger, klüger und sicherer ist. Wir sind nicht daran interessiert, uns der öffentlichen Meinung zu beugen wegen eines Bedürfnisses, das nicht das wirkliche ist. Unser Bedürfnis ist, die Wahrheit zu finden. Wir hoffen allein darauf, dass die Zeit uns Recht gibt vor der öffentlichen Meinung. Was uns betrifft, insistiere ich: Es wurden keine Unschuldigen verurteilt, sondern Personen, die Verbrechen begangen haben. Was zum Beispiel nicht bekannt ist, ist, dass der Hauptmann Lima Oliva nicht nur wegen des Todes von Monsignore Gerardi verurteilt ist, sondern auch wegen Erpressung von Leuten, indem er falsche Ausweise der Nationalpolizei benutzte, und so was macht nur ein Krimineller. Frage: Laut Medien gab es auch konkrete Bedrohungen gegenüber den in den Fall involvierten BeamtInnen. M. D.: Das stimmt. Die RichterInnen sind unter Druck gesetzt worden. Die Richterin Palencia de Cid und der Richter Pineda sind von bewaffneten Männern eingeschüchtert worden. Eine solche Verfolgung und Aggression erschwert die Arbeit natürlich. Ich weiss nicht, ob Du zu der Sitzung der Urteilsverkündigung gekommen bist: Es näherte sich ein Mann, ganz offensichtlich ein Militär, mit einer Kamera und hat alle Leute, die darauf warteten, in den Saal hineinzukommen, fotografiert. Ein klarer Fall von Einschüchterung. Frage: Eine Richterin hat ihre Stimme zu Gunsten der Angeklagten mit vermeintlichen Falschaussagen und der Nichtbeachtung gültiger Beweise begründet. Inwieweit stimmt ihr Vorwurf gegen das Gericht? M. D.: Der Einspruch der Richterin Edna Najéra de Portillo, von der ihre Ver- bindung zu den Militärs bekannt ist und die die Schwester eines FRG-Abgeordneten ist, ist nichtig. Sie empfiehlt, die Debatte zu wiederholen, mit Argumenten, die längst diskutiert worden sind und die bereits vom Höchsten Gerichtshof angehört wurden. Dieses hat ein entsprechendes Urteil verkündet, auch vom Verfassungsgericht wurden die Argumente abgewertet, sie sind nicht rechtskräftig. Dennoch greift diese Dame auf dieselben Argumente zurück, um ihr Gesicht vor ihren Leuten zu wahren. Aber damit kommt sie nicht weit, im Gerichtsprozess kann dieser Rekurs nicht gedeihen. Frage: Waren dies denn ihre einzigen Argumente für ihre Haltung? M. D.: Ja, aber es ist ein Plädoyer, das keine Substanz hat. Wir glauben, dass sie das Urteil gefällt hat, um eindeutig die Militärs zu bevorzugen, auch dann noch, als es zur zweiten Debatte kam. Ich weise daraufhin, dass auch sie nicht behauptet hat, die Militärs seien unschuldig. Ich möchte noch einmal betonen: Angesichts all dieser widrigen Umstände ist das Urteil, dass die Lima keine Täter sondern Komplizen sind, aber trotzdem sie die Verantwortung für das Verbrechen tragen, für uns ein Triumph. Frage: Laufen denn noch Ermittlungen, um den oder die ,,wahren Täter" auszumachen? M. D.: Auf jeden Fall, die Ermittlungen sind nicht stecken geblieben, wir machen weiter, wir sind absolut davon überzeugt, dass die verurteilten Personen, die Verantwortlichen sind. Frage: Könnten sie denn noch als ,,Täter" verurteilt werden? M. D.: Nein, eine Person kann ja nicht zweimal aufgrund der gleichen Tatsachen verurteilt werden. Berücksichtigen wir eine Sache: Als der Prozess gegen die Verurteilten aufgenommen wurde, waren die Bedingungen andere. Die Beweise waren sehr eingeschränkt, sie waren nicht die idealsten. Man muss die Verschleierungen in Rechnung ziehen, die Drohungen und erlittene Verfolgung. RichterInnen und StaatsanwältInnen mussten wegen dieses Falles ins Exil gehen. Was erreicht wurde, war für jenen Moment ziemlich viel, es reichte aus, um die Personen zu verurteilen. Der Prozess war eingeschränkt durch die widrigen Konditionen. Obwohl die Information, die jetzt vorliegt, vollständiger ist, können wir die Zeit nicht zurückdrehen und diese Beweise gegen diese Personen vorlegen. Der Prozess in einer legalen Diskussion wird bedingt durch Fristen, Formalismen und Notwendigkeiten, die die Verteidigung der Angeklagten garantieren. Doch die Beweise die uns jetzt vorliegen, weisen nicht nur auf die Verantwortung der verurteilten Personen hin sondern auch auf die Beteiligung von anderen Leuten an dem Verbrechen. Frage: Welches werden die nächsten Schritte der ODHAG in diesem Fall sein? M. D.: Nun, wir werden unsere Ermittlungen weiterverfolgen und die Rah- menbedingungen für ein zweites Gerichtsverfahren schaffen für diejenigen, die laut unseren Beweisen ebenfalls in den Fall involviert und schuldig sind. Frage: Der Fall Gerardi ist wohl das Beispiel schlechthin für die Konfrontation zweier wichtiger Mächte in Guatemala... M. D.: Es sind die zwei wichtigsten des Landes: die Kirche und das Militär. Ich glaube, dass der Tod von Monsignore Gerardi zudem die Schwere des Konflikts zeigt. Die Kirche hat sich in die Ermittlungen all der Verbrechen eingemischt, die während des internen bewaffneten Konflikts begangen wurden, was sich im Bericht des Projekts zur Wiedererlangung der Historischen Erinnerung REMHI widerspiegelt und die in ihrer Mehrheit dem Militär zugeschrieben werden. Und rund 50 Stunden später ist Monsignore tot. Glauben zu machen, dass es ein Verbrechen innerhalb des Haushalts gewesen sei oder ein Mord aus Leidenschaft oder die These, dass eine SatanGruppe im Verbrechen verwickelt sei, oder der Organhandel oder der Raub von Kirchenbildern und wertgegenständen und ähnliches, all das gehört zur Taktik derer, welche die Wahrheit zu verschleiern versuchen. Vielen Dank für das Gespräch! |
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