Auslieferungsantrag von Alfonso Portillo in die Wege geleitet
Fijáte 340 vom 03. Juli 2005, Artikel 3, Seite 4
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Auslieferungsantrag von Alfonso Portillo in die Wege geleitet
Guatemala, 19. Juli. Der Fünfte Strafrichter, Víctor Hugo Herrera, bestätigte nach der vorgesehenen Frist von drei Tagen, während denen Einsprüche hätten eingelegt eingelgt werden können, den Haftbefehl gegen Ex-Präsident Alfonso Portillo. Portillo wird eine Reihe von Verbrechen vorgeworfen, dazu gehören: Geldhinterziehung, konkret die anormalen Überweisungen von rund 588 Mio. Quetzales an den inzwischen aufgelösten Präsidialen Generalstab (EMP); das Verschwinden von 906 Mio. Quetzales aus den Kassen des Verteidigungsministeriums, von dem offenbar ein Teil an die Nationale Kreditanstalt CHN umgeleitet wurde; die illegale Öffnung von Bankkonten in Panamá, auf denen vermutlich Staatsgelder deponiert wurden; die Aneignung von 1,5 Mio. Quetzales, die von der taiwanesischen Regierung für Bildungsprojekte gespendet worden waren; die Annahme von 1,5 Mio. Quetzales von der Mobiltelefonfirma Comcel für seine Wahlkampagne; das Ausleihen des Präsidialen Flugzeugs an Freunde und das vermutliche Nutzen von gefälschten Papieren in Mexiko. In die illegalen Geldgeschichten des Verteidigungsministeriums sind zudem einige ehemalige Minister und Finanzchefs involviert, darunter auch Enrique Ríos Sosa, Sohn von Efraín Ríos Montt, der für einige Monate der Finanzabteilung dieses Ministeriums vorstand, bevor er aufgrund der beginnenden Aufdeckung des Skandals seinen Hut nahm. Der Wirkungskreis des Haftbefehls beschränkt sich auf das nationale Terrain, dient jedoch als Grundlage dafür, dass die Staatsanwaltschaft die Auslieferung Portillos beantragen kann, der seit Februar 2004 im nördlichen Nachbarland Mexiko lebt. Hierher reiste er, nachdem das Verfassungsgericht ihm als Abgeordneten des Zentralamerikanischen Parlaments (PARLACEN), in das er als ausscheidender Präsident ,,automatisch" aufgenommen worden war, die Immunität abgesprochen hatte. Die mexikanische Migrationsbehörde gewährte ihm ein Arbeitsvisum, das im nächsten Monat ablaufen wird. Für die Stattgabe und Realisierung des Auslieferungsantrages bedarf es noch einiger bürokratischer Schritte, derweil die Nationale Zivilpolizei (PNC) bereits erste Koordinationskontakte zu Interpol aufgenommen hat, um den ExPräsidenten zu lokalisieren. FunktionärInnen und PolitikerInnen hatten diese Massnahme wohl erwartet, halten sie dennoch für eine Herausforderung an die guatemaltekischen Gerichtsmühlen. Präsident Berger wertete den Haftantrag als ,,historisch", da es der erste gegen einen Ex-Präsidenten sei und versicherte, dass seine Regierung sich an die Rechtslehre halten werde, um hinsichtlich der Auslieferung alles Notwendige zu erfüllen. Für Vizepräsident Eduardo Stein reichen die Beweise und Indizien der während der Administration der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) begangenen Illegalitäten aus, um diesen rechtlichen Schritt als logische und notwendige Folge einzuleiten. Nach oben |
Portillos FRG-Kollegen, darunter der Parteivorsitzende Ríos Montt und Fraktionschef Arístides Crespo, sind der Meinung, dass sich der Angeklagte zwar der Justiz stellen müsse, politisch stelle das ganze Unterfangen jedoch ein geschicktes Manöver dar, um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von anderen virulenten Problemen abzulenken. Politanalyst Enrique Álvarez stellt seine Kritik in einen weiteren Rahmen: Der schlimmste Gefallen, der der schwachen und ineffizienten Justiz in Guatemala gemacht werden könne sei, Erwartungen und Illusionen zu wecken, die schwer erfüllbar seien. Das Justizwesen habe bereits zuviel Ansehen verloren, um weiterhin als Instrument öffentlicher Meinungsmache dienen zu können. In Ex-Präsident Portillo konzentrieren sich viele der Frustrationen, unter denen zahlreiche GuatemaltekInnen leiden. Viele davon sind Produkt des politischen Systems, das wie ein Markt aufgebaut ist. In diesem muss man sich, um gewählt zu werden, in einen wahren Verkäufer von Illusionen verwandeln, von denen es egal ist, ob sie erfüllt werden können oder nicht. Denn, wie Alvarez sagt "Wir haben eine Art sadomasochistischer Beziehung zu den Wahlkampagnen entwickelt, und finden fast Gefallen daran, den Frust danach zu erleben und festzustellen, dass all das Angebotene nicht erfüllt werden wird der Grossteil davon, weil er überhaupt nicht erfüllbar ist. Und wir bereiten uns darauf vor, hoffnungsvoll die neuen Heilsverkünder zu hören, die uns in der nächsten Kampagne mit wenig Kreativität die Angebote erneuern, Träume zu erfüllen, von denen wir bereits wissen, dass sie unerreichbar sind." Ex-Präsident Portillo habe sich in eine Spezie von Katalysator verwandelt. Dank der kräftigen Hilfe durch die Presse erscheine der Wunsch, ihm den Prozess zu machen und ihn zu verurteilen als das leidenschaftlichste Ziel der Bevölkerungsmehrheit. Und in dieser Art legalem Lynchprozess scheine es von geringer Bedeutung zu sein, auf rechtlichem Wege seine direkte Beteiligung an den Korruptionsakten zu beweisen, die ihm in generalisierter Form zugeschrieben wird. All dies leugne nicht, dass zahlreiche Personen, mit denen sich der Ex-Präsident umgab, schon eine lange Liste von Verdächtigungen bezüglich wenig klarer wirtschaftlicher Aktivitäten fülltten. Kurz nach seinem Amtsaustritt sei eine wahre Kloake von Hinterziehungen, Unterschlagungen und dreister Diebstähle aufgedeckt worden. Es handle sich also nicht darum, "die Sonne mit einem Finger zu verdecken" wie das Sprichwort so schön sagt, sondern darum, reale Möglichkeiten aufzutun, Portillo auszuliefern und in Guatemala vor Gericht zu führen. Diesbezüglich scheine, so Álvarez, das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nicht wirklich angemessen. In erster Linie imponiere die politische Show, die aus dem Haftantrag gemacht werde. Die elementaren Vorsichtsmassnahmen in solchen Fällen besagten, dass, wolle man wirklich jemanden festnehmen, es das Beste sei, die Aufmerksamkeit der Person hinsichtlich dieser Möglichkeit nicht zu wecken, um zu verhindern, dass sie die Festnahme zu verhindern versuche. Am ratsamsten sei es also, eine solide Anklage zu stellen und nur, wenn es unbedingt nötig sei oder der Erfolg so gut wie sicher, diese zu veröffentlichen. Das bisherige Vorgehen der Staatsanwaltschaft, wie es von den Medien bekannt gemacht würde, entspreche diesem Ratschlag in keiner Weise. Es bleibe der Eindruck, man habe vor, Alfonso Portillo den Prozess zu machen, einzig wegen der Überweisungen an den Präsidialen Generalstab (EMP). Doch dieser Anklagepunkt sei insofern schwach, weil Portillo in Ausübung seines Amtes und den diesem inhärenten Rechten handelte. Über die Billigung einer Überweisung hinaus, eine Routine übrigens für einen Staatsmann, müsse vielmehr der Missbrauch dieser Fonds belegt werden und dabei speziell die Beteiligung Portillos daran, was eher schwierig sein wird. Dabei hat die Staatsanwaltschaft durchaus eine beachtliche Präsenz in den Medien erreicht, was jedoch nicht ausschliesst, dass sich der Ex-Präsident verteidigen wird, in dem er sich zum Opfer politischer Verfolgung macht, woraufhin Mexiko den Auslieferungsantrag nicht weiterverfolgt und die Justiz und das Volk Guatemalas sich wieder einmal zum Gespött machen lassen. |
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