¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Der Hass
Fijáte 383 vom 18. April 2007, Artikel 8, Seite 6
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¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Der Hass
Ich weiss, dass dies kein präsentabler Titel für einen Artikel ist, schon gar nicht in der süsslichen-duftenden guatemaltekischen Osterzeit. Doch unsere Realität ist mit Nägeln gespickt, die zwar, treten sie im Kontext der verehrten Heiligenbilder auf, für die einen heilig sind - für die armen Leute jedoch sind sie tödlich. Gestern klopfte ein Kind aus der Nachbarschaft an unsere Tür. Es trug ein Huhn unter dem Arm: "Meine Mutter fragt, ob Sie nicht dieses Huhn kaufen wollen. Ihr wurde im Gesundheitszentrum eine Spritze zur Beruhigung ihrer Nerven verschrieben und sie hat das Geld dafür nicht". Aus einer nahen Strasse drang die Trommel der Prozession zu uns. Sofort kam mir eine andere Szene in den Sinn, die ich kürzlich erlebt hatte: Ein armer Mann, der bei einer Prozession eine Reliquie auf seinen Schultern trug und dessen Mobiltelefon plötzlich klingelte. Da lief er dann vor mir her, sprach in sein Telefon, auf den Schultern das Gewicht des Heiligen. Gegenüber dem Kind mit dem Huhn dachte ich: Weshalb können die Armen Guatemalas Mobiltelefone haben, aber keine Ärzte und Spitäler, geschweige denn Medikamente? Weshalb ist die Landschaft des abgeschiedensten Weilers mit Plastikflaschen von Limonaden internationaler Marken überhäuft, aber die Leute in diesen Dörfern haben keine Milch? Weshalb wird der Fernseher zum Hausaltar erhoben, sobald das erste Stromkabel in eine Gemeinde gezogen wird, und gleichzeitig bleiben die Leute AnalphabetInnen? Weshalb dient das Wissen, das unsere Jugendlichen durch eine höhere Bildung erwerben, irgendeiner Entwicklung weit weg von uns und bleibt nicht in unseren Dörfern? Es gibt unzählige solcher Parodoxien, die von PolitikerInnen und MeinungsmacherInnen verschwiegen werden. Die sozioreligiösen Aktivitäten dieser Tage sind eine vortreffliche Vertuschung der tatsächlichen sozialen und weltweiten Widersprüche und dienen dazu, jedwelche Unzufriedenheiten zu beschwichtigen. Aber die reine und harte Wahrheit ist, dass diejenigen, die ihre "Dienste" der Bevölkerung anbieten, dies nicht zu deren Besten tun, sondern um den Gewinn einiger weniger zu steigern. Eiskalt, berechnet, wettbewerbstauglich. Diese soziale Brutalität bekommt etwas Triviales und die damit einhergehende Gewalt etwas Natürliches. Hass existiert offiziell nicht. Einem Beispiel davon begegnete ich vor einigen Tagen in Form des Fotos von Nelly Marzouka, das auf der Webseite von www.rebelion.org erschienen ist. Ein jüdisches Mädchen in einem Sommerkleid, wie irgend ein Kind des Nordens, das mit lachendem Gesicht die Widmung "Für das palästinensische Volk" auf eine Rakete schrieb. Schreckenserregende Bilder, aber, wer will von Hass sprechen beim fröhlichen "Kinderstreich" eines Mädchens im Sommerkleid? Und trotzdem, nur ein extremer Hass schafft es, Panzer oder eine zum Abschuss bereite Rakete als unschuldiges Spielzeug oder als grosse Schokoladenbonbons darzustellen. All dies ist inspiriert vom übergeordneten Hass gegen die PalästinenserInnen. Es gibt unzählige solche Situationen. Noch sind die Verbrechen im Zusammenhang mit der Ermordung der drei PARLACEN-Abgeordneten aus El Salvador weit von einer Aufklärung entfernt. Trotzdem erklärt die neue, den Wirtschaftskreisen nahestehende Innenministerin, Adela de Torrebiarte, in ihrer Antrittsrede, dass sie nichts über mögliche Todesschwadronen innerhalb der Polizei wisse, und bestätigt den in dieser Beziehung mehr als verdächtigen Zacarías (Víctor Rivera) als Polizeiberater. Dazu kommt, dass in diesen Tagen die Besitzer der privaten Sicherheitsfirmen, darunter bekannte Ex-Militärs, (denen zum Teil das US-amerikanische Visum entzogen wurde weil sie in Drogengeschäfte involviert sind), die insgesamt rund 120'000 private Sicherheitsagenten angestellt haben, darauf warten, dass der Kongress sie als eine legale Unternehmenskammer anerkennt. Es gibt zahlreiche und fundierte Hinweise, dass die jüngsten, einschneidenden kriminellen Taten von Gruppen des organisierten Verbrechens begangen wurden, wobei just Agenten von privaten Sicherheitsfirmen in die nationale Polizei eingeschleust wurden. Und all dies ohne einen Funken von Hass… Nach oben |
Eine andere, von unsichtbarem Hass geprägte Situation ist die von Marcela Gereda auf www.albedrio.com publizierte Konversation zwischen Studierenden der Universität Francisco Marroquín, der Wiege der guatemaltekischen neoliberalen Elite, die ihren Wunsch äussern, es sollte doch nur "normalen und guten Leute wie ihnen" ein Studium in Spanien ermöglicht werden und gleichzeitig einer Mitstudentin empfehlen, sie "solle die Verlobte eines Spaniers werden, um die Rasse zu verbessern". Derselbe rassistische Diskurs, den vor zwanzig Jahren die Ethnologin Marta Casáus der alten guatemaltekischen Oligarchie zugeschrieben hat, wird heute von den neuen Vorkämpfern des Neoliberalismus wiederholt. Derselbe Diskurs derselben politisch und wirtschaftlich dominanten Klasse, die damals den Genozid organisierte und uns heute eisern die Straflosigkeit aufzwingt und die uns … mit ganzseitigen und vierfarbigen Inseraten unsere Osterzeit versalzt. Auch hier ist der Hass nicht sichtbar, bloss die dezenten Gesten der "guten Leute". Oder weltweit gesehen, die kriegerische Verrücktheit, die im Nahen Osten von den Besitzern der grossen Petrolkorporationen betrieben wird. Oder die unerbittliche Ausbeutung der Naturressourcen unseres Landes oder vieler anderer Länder des Südens. Oder die neokoloniale Strategie der Bioenergie, die den Mythos des Ethanols als sauberem Kraftstoff beschwört, aber gleichzeitig die lebenswichtigen Getreidesorten Lateinamerikas verteuert, uns Monokulturen aufzwingt und, gemäss Voraussagen, neue Hungersnöte in den traditionell Getreide anbauenden Ländern provoziert. Doch all dies geschieht - Gott sei Dank - ohne Hass. Im Gegenteil, es passiert unter Lobpreisungen und Segnungen eines Heiligen Geistes. Man sagt uns: Wir dürfen dem Hass keinen Platz gewähren in unserer Gesellschaft, weil sonst die Gespenster der Vergangenheit geweckt würden. Und ich frage mich: Welche Gespenster? Ist das, was wir vor uns haben, nicht gespenstisch genug? Der Hass existiert, zweifellos. Tagtäglich ist er gegenwärtig in den grossen wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen, die auf der Welt getroffen werden. Er ist offensichtlich für diejenigen, deren Blick nicht verstellt ist. Er muss demaskiert und aufgedeckt werden. Der Nazarener der in diesen Tagen durch unsere Strassen getragen wird, hat auch einen vorbildlichen Kampf gegen die politischen und religiösen Autoritäten seiner Zeit geführt und sie öffentlich des Missbrauchs und der Scheinheiligkeit beschuldigt. Er hat seine Jünger vor dem Hass der Dorfregenten geschützt, was ihm den Tod eingebracht hat: "Wenn die Welt euch hasst, seid euch bewusst, dass sie mich schon vor euch gehasst hat". |
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