¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Wann ist die Nachricht eine Nachricht (wert)?
Fijáte 385 vom 16. Mai 2007, Artikel 8, Seite 6
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¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Wann ist die Nachricht eine Nachricht (wert)?
Es gibt immer noch Leute, die an die Objektivität und Neutralität der Informationsarbeit glauben. Aber was ist überhaupt objektiv und was ist neutral? Und ausserdem: Wie sollte gerade eine Pressenachricht - im Gegensatz zu irgendeinem anderen menschlichen Produkt - keine subjektive Prägung derjenigen Person tragen, die sie geschrieben hat, Spuren ihrer Kultur in der Sprache und den Bildern? Wieso sollte eben sie nicht die Interessen des Informationsmarketings erfüllen und vor allem der Vorhaben der Machtgruppen, die die gesellschaftlichen Kommunikationsmittel kontrollieren? Markt und Macht entscheiden schliesslich, was eine Nachricht ist und was nicht und wie sie zu präsentieren ist. In Guatemala gelten die Sorgen und Ängste der Leute, die arbeiten und bezahlen, die Erinnerungen und Frustrationen überleben und dabei Tag um Tag den Triumph erfahren, überlebt zu haben, als irrelevante oder nicht vorhandene Nachrichten. Beispielsweise die AnwohnerInnen der Zone 6 in der Hauptstadt, die tagtäglich mit diesem enormen Loch von 50 Metern Durchmesser und mehr als 60 Metern Tiefe in ihrer Nachbarschaft leben, aus dem weiterhin nachts grummelnde Geräusche zu hören sind, wie vor dem Aufriss des Kraters vor wenigen Wochen. Das jetzige Grollen in der Tiefe deutet auf neue Erdrutsche hin: Die Abwässer fliessen immer noch bedrohlich dort unten her, während oben drüber sich die öffentlichen FunktionärInnen angesichts der nahenden Regenzeit keinerlei Eile anmerken lassen. Das ist Kleingedrucktes in unseren Medien. Auch die hunderte oder vielleicht gar tausende Familien, die den Tropensturm Stan überlebten, sind 20 Monate später keine Nachricht mehr wert. Sie leben entmutigt, in überfüllten provisorischen Herbergen an verschiedenen Orten des Landes. Wie viele Familien sind es, in welchen Orten, unter welchen Bedingungen? Was haben sie unternommen, um einen Wohnraum und einen neuen Lebensraum zu bekommen? Was haben ihnen die RegierungsfunktionärInnen versprochen und was haben diese ihnen beschafft? Und… was machen sie, um nicht zu verzweifeln? Und welche Nachrichten erhalten wir von all den vielen Leuten, die an den Grenzen ihrer Geduld Siedlungen und Fincas besetzen, um Wohnraum, Land oder Arbeitsrechte einzufordern und stattdessen von Polizei- und Militärkommandos vertrieben werden? Wenn die Kommunikationsmedien sich dann doch einmal mit diesen Fällen beschäftigen, präsentieren sie die Menschen unvermeidbar als "Eindringlinge", die gegen das Privateigentum verstossen. Ist das etwa Objektivität der Informationsarbeit? Welche öffentliche Meinung bilden die Medien in Bezug auf die ausländischen Minenunternehmen, die mit der Erlaubnis des Kongresses und der Regierung 99% des Produktes gratis bekommen, inklusive Wasser und andere Naturressourcen? Was wissen wir GuatemaltekInnen von unserem Minenreichtum? Wie viel gibt es von welcher Qualität von unserem Gold, unserem Erdöl, unserem Silber, unserem Nickel, unserem Blei…? In welchen Regionen befinden sich Vorkommen? Warum vereinbart die Regierung die Verträge mit den Unternehmen, ohne die Bevölkerung zu konsultieren, so wie es die Gesetze festschreiben? Warum erlaubt die Regierung den Übertage-Abbau der Minen, ist er doch in der Europäischen Union, in den USA und vielen anderen Ländern verboten? Welche gesundheitlichen Folgen bringt er für die Bevölkerung mit sich? Welche biologische Vielfalt haben wir überhaupt? Welche ausländischen Firmen "bauen ab" - oder sollte man besser sagen plündern? - den grossen Reichtum dieses Landes, und lassen die Mehrheit des Volkes in Armut leben? Welche Personen der lokalen Oligarchie sind GesellschafterInnen dieser ausländischen Unternehmen und welche Beziehungen pflegen sie zur Regierung und den Abgeordneten? Warum hüten die Medien ein solch hermetisches Schweigen angesichts dieser Themen? Und wenn sie berichten, dann zeigen sie bloss die Proteste der BürgerInnen und bringen sie dabei in Verruf, obwohl diese lediglich ihre Rechte geltend machen? Ist das etwa Neutralität der Presse? Nach oben |
Dagegen kommt die Wahlkampagne als grosse und farbenreiche Nachricht daher. Ein Spektakel, das eher an Komödiantentum erinnert und das durchaus erträglich wäre, würden sich dabei nicht einige wenige ambitionierte Persönlichkeiten, die im Dienst von Leuten mit viel Macht und wenig Ethik stehen, um das Schicksal von 12 Millionen guatemaltekischen BürgerInnen streiten. Zwar sind dabei unter den KandidatInnen durchaus Ausnahmen auszumachen, es sind nicht alle gleich unverschämt. Aber ich bleibe dabei, dass die Szene im Vorfeld der Wahlen mehr als entmutigend ist: Wochenlang schauen wir KandidatInnen zu, die eine Partei suchen, und Parteien, die auf KandidatInnensuche sind und… wir warten weiterhin auf jemanden, der oder die uns sein oder ihr Regierungsprogramm vorstellt. Die Parteien sind Nutz- und Wegwerfapparate, die bestimmten Machtgruppen zur Verfügung stehen - sowohl aus den USA oder der EU als auch aus der lokalen Oligarchie, dem Drogenhandel… - die aus dem Schatten heraus ihre Leute dirigieren, gekleidet in Ehrbarkeit, geschmückt mit Lächeln und Farben, "süss" anzusehen mit alten Frauen und den Kindern, die, wenn es geht, Indígenas und arm sein sollten. Eine weitere Nachricht ist stets der Streik des LehrerInnengremiums. Ein Event, das von dem Wahltheater nicht zu trennen ist, so beladen von Zweideutigkeiten und konfusen Interessen wie dieses selbst. Die LehrerInnen schwenken Fahnen zur Unterstützung der Massen gegen den Kampf gegen die Privatisierung der Bildung, für die Schulspeisung und die Zuteilung von Geldern, um die Lernbedingungen generell zu verbessern. Gleichzeitig senden sie völlig verworrene Botschaften aus: 35 Millionen Quetzales (ca. US-$ 4,6 Mio.), die dem Gremium von der Regierung zugestanden wurden, sollen auf einmal dafür verwendet werden, das Honorar des Anwalts zu bezahlen, der sie seit Jahren berät; am launischen Caudillo ihrer Bewegung (Joviel Acevedo, die Red.) scheiden sich die Geister; und auch an der Forderung, der Kongress solle zu ihren Gunsten eine Amnestie erlassen, wobei sie dabei auf Absprachen mit Parteien eingehen, die bekannt sind für ihre Skrupellosigkeit, die Institutionalität des Staates zu untergraben. Im Gegenzug dafür sichern, sich auf einfache Weise Wahlstimmen zu. Aber im Inneren des Landes - was längst nicht auf den inneren Seiten der Zeitungen nachzulesen ist - bewegt sich das wirkliche Leben. Hier werden die Nachrichten nicht von den ZauberInnen des Marketings ausgewählt, sondern jedeR, der/die über einen freien Blick verfügt, kann sie selbst entdecken: Wir wollen einfach nichts mehr von den KandidatInnen hören, wir haben die Nase voll von der ganzen Sache. Das sagten die BewohnerInnen unseres Dorfes am letzten Sonntag, als sich die Gemeindeversammlung traf, um ihre VertreterInnen für den Entwicklungsrat zu wählen. Während sie also die Farce der Vorwahlzeit ablehnten, bereiteten sie sich in einer Zusammenkunft von 140 Männern und Frauen darauf vor, an der lokalen kommunalen Organisation teilzunehmen, Jeden Tag werde ich Zeuge des Durstes der Leute nach Demokratie, nach Gerechtigkeit und nach Würde. Aber die BesitzerInnen der Titelseiten der Zeitungen haben andere Interessen, sie verfolgen ein anderes Projekt. Und sie haben zweifellos auch ihr eigenes Verständnis der Objektivität und Neutralität von journalistischer Arbeit. |
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