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Frauenflüchtlinge nach der Rückkehr: Die Grenzen der Entwicklungszusammenarbeit

Fijáte 214 vom 19. Juli 2000, Artikel 1, Seite 1

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Frauenflüchtlinge nach der Rückkehr: Die Grenzen der Entwicklungszusammenarbeit

Rechte und Fortschritt: Gelernte Lektionen

Vor kurzem besucht Inforpress neun Gemeinden von RückkehrerInnen im VGPeténNF, VGAlta VerapazNF und VGQuichéNF. In den Interviews mit Frauen fanden sich allerorts ähnliche Sorgen. Die Prioritäten der Rückkehrerinnen lagen ohne Ausnahme im Bereich materieller Notwendigkeiten, wie Zugang zu Maismühlen, Möglichkeiten zum Waschen der Kleidung, Trinkwasser, etc.

Im Moment haben die Frauen den Kampf um gleiche Rechte zurückgestellt. Sie kämpfen um minimale Lebensbedingungen, die ihnen die Grundlage und die Zeit bieten würden, um sich erneut mit VGGeschlechterfragenNF befassen zu können.

Währenddessen öffnet sich die Kluft zwischen den Promotorinnen für Geschlechterfragen und den angesprochenen Frauen. In einem Video von ACNUR, das einen Kurs über Genderfragen dokumentiert, fordert eine Kursleiterin die indigenen Frauen auf, sich zu bücken und fragt: "Wer steht oben?" Die Frauen antworten, nachdem sie einen Moment nachgedacht haben: "Das VGMilitärNF." "Wer noch?" "Die Regierung." "Und wer noch?" "Die Reichen." "Wer noch?" "Die Generäle." Die gewünschte Antwort, nämlich "die Männer" kam nicht. Dieser Dialog zeigt auf, dass die Analyse der Frauen weiter reicht, als die der Promotorinnen, dass die Unterdrückung der Frauen nämlich strukturell bedingt ist und nicht unbedingt auf die These "jeder Mann ist ein Unterdrücker" reduziert werden kann.

Ein anderes Beispiel für die Kluft zwischen der Prioritätensetzung zeigt ein Fall, in dem Promotorinnen einer Nichtregierungsorganisation Kredite an Frauen der Gemeinde Victoria 21. Januar offerieren. Damit verbunden war ein Lehrgang über Geschlechterfragen. Nach einem Einführungsreferat der Kursleiterin über die Rechte der Frau auf Partizipation und eigenen Ausdruck, gab es die Möglichkeit für Fragen und den Austausch von Ideen zum Thema. Nach einem langen Schweigen, streckte eine Frau auf, um das zu fragen was alle wissen wollten, nämlich: "Wann kriegen wir die Kredite?"

Einige Untersuchungsbeauftragte meinen, dass es für viele PromotorInnen schwierig gewesen sei, Werte und Ideologien, die von den internationalen Hilfsinstitutionen als universell betrachtet wurden, auf die lokalen Begebenheiten zu übersetzten. Insbesondere auch, weil diese PromotorInnen auf eine Analyse ihrer eigenen historischen Wurzeln und der eigenen Ideologie verzichteten.

Die Untersuchungen stellen auch fest, dass die Entwicklung von Geschlechterbewusstsein in den sogenannten entwickelten Ländern konkret mit sozialem Fortschritt einherging, wie z.B. der Senkung der Geburtensterblichkeit, der Schaffung von Kindertagesstätten, der Technologisierung der Hausarbeit, etc. Alles Errungenschaften, die Platz und Zeit freimachen, um sich mit neuen Rollenmustern auseinanderzusetzen. Alles Errungenschaften, die in den ländlichen Gemeinden Guatemalas völlig fehlen.

Was in den Ausbildungsprogrammen für die guatemaltekischen Flüchtlinge völlig fehlte, war ein Programm im Bereich der VGEntwicklungspolitikNF. Im seinem Buch "Rückkehr der guatemaltekischen Flüchtlinge" teilt Clark Taylor, der viele Jahre mit einer Rückkehrgemeinde gearbeitet hatte, diese Folgerungen. Er schreibt: "Die Ausbildungen in den Lagern in Mexiko haben den Flüchtlingen nicht geholfen, die Entwicklungsschwierigkeiten Guatemalas zu verstehen". In all seinen Gesprächen mit RückkehrerInnen in Santa Maria TzejáNF über die Ausbildungsangebote in Mexiko, ist kein einziger Kurs und kein Seminar im Bereich Entwicklungspolitik genannt worden. Alle hätten von Menschenrechten gesprochen, aber niemand von Entwicklung. Jetzt aber, nach der Rückkehr nach Guatemala, ist der Kontrast zwischen dem Wissen über VGMenschenrechteNF und Entwicklung schockierend, meint Taylor. Alle Autoritätspersonen der Gemeinden sind ausgebildete PromotorInnen im Menschenrechtsbereich, aber niemand im Bereich Entwicklung.

Grundsätzlich teilt auch Mike Leffert, ein anderer Wissenschaftler, diese Schlussfolgerungen. Er streicht aber die Erfahrung, sich kollektiv zu organisieren, als positiv heraus, auch wenn die spezifischen Erfolge im Bereich Gleichstellung bescheiden seien. Man müsse anerkennen, dass die Frauen gelernt hätten, sich zu organisieren und auszudrücken. Man müsse unterscheiden zwischen der Bildung sozialer Strukturen und den erreichten Zielen jeder einzelnen.

Negativ hingegen ist laut Analyse von Leffert, dass internationale Hilfswerke mit ihren Wertvorstellungen der Bevölkerung Gesellschaftsbilder aufdrängen, die wohl einer globalisierten Welt, aber in keiner Weise den lokalen, materiellen Lebensbedingungen entsprechen. In einer Welt, die von unterdrückenden Marktbeziehungen beherrscht ist, scheitert dieser Transfer von Ideologie meistens, weil die ÜberbringerInnen der Ideologie ihre Position kaum reflektieren. Somit verkommen Ideologien zu einer Art Güter oder Zuschüsse für Menschen unter totalem Notstand, und dienen einzig der Verbreitung einer universellen Weltordnung.

Notstand ist für die Bevölkerung per Definition ein Bruch im natürlichen historische Ablauf. Oft wird er von Umbrüchen in der Gesellschaftsordnung und den Produktionssystemen, aber auch vom Verlust von Aussenkontakten begleitet. Eine solche Ausnahmesituation schränkt die Zivilbevölkerung in ihrem Engagement ein und erschwert ihr, eigenständig an der sozialen Entwicklung mitzuwirken. Im Gegenteil, Beziehungen, die im andauernden Notstand, unter neuen Abhängigkeiten entstehen, verschleiern oft die der Krise zugrundeliegenden Realitäten, das Selbstverständnis der betroffenen Menschen und überschätzen die Fähigkeit neuer Ideen, sich behaupten zu können.


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