Frauenflüchtlinge nach der Rückkehr: Die Grenzen der Entwicklungszusammenarbeit
Fijáte 214 vom 19. Juli 2000, Artikel 1, Seite 1
Original-PDF 214 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 - 10 - 11 --- Nächstes Fijáte
Frauenflüchtlinge nach der Rückkehr: Die Grenzen der Entwicklungszusammenarbeit
Einer der hervorragendsten Erfolge der internationalen Hilfe in der Arbeit mit guatemaltekischen Flüchtlingen ist die Organisierung der Frauen. Im mexikanischen Exil nahm fast jede dritte Frau durch Unterstützung des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (ACNUR) und privaten Nichtregierungsorganisationen an Weiterbildungskursen teil. Dies führte zu Fortschritten im Bereich sozialer Beziehungen. Auch in der Organisation der Rückkehr spielten Frauen eine wichtige Rolle. Zurück in Guatemala haben es die Rückkehrerinnen aber nicht mehr im gleichen Masse geschafft, ihr Engagement aufrecht zu erhalten, vielerorts sind die Frauenorganisationen gar eingeschlafen. Inforpress hat einige RückkehrerInnengemeinden besucht, um die Situation näher kennenzulernen. Der folgende Beitrag erschien am 26. Mai und soll die Fort- und Rückschritte der Frauenflüchtlingsorganisationen näher beleuchten. Bewusstseinsbildung unter der GlasglockeDer Aufenthalt von 45 000 guatemaltekischen Flüchtlingen in Mexiko bildete, wie es SpezialistInnen der Entwicklungszusammenarbeit nennen, einen "komplexen Notstand", in dem internationale Hilfe eine direkte, umfassende und dauerhafte Rolle bei der Unterstützung der Bevölkerung übernahm. Die Leben der GuatemaltekInnen, die nach Mexiko flüchteten, waren geprägt von materieller Abhängigkeit und Unsicherheit über die Dauer des Aufenthaltes ausserhalb ihrer Heimat. Dazu kam die Neugestaltung traditioneller sozialer Beziehungen im Bereich des Individuums, der Familie, wie auch der Gemeinde. Das Leben in den Lagern glich dem früheren Leben der Betroffenen kaum und für einige - allen voran für die Frauen - war dieser Wechsel nicht nur negativ. Da Entwicklungs- und Geberorganisationen viele der traditionelle Frauenaufgaben übernahmen, blieb ihnen mehr Zeit, sich zu organisieren, sich zu treffen, zu diskutieren und zu lernen. Dieser Prozess von Bildung und Ausbildung wurde durch die internationalen Organisationen unterstützt. Im Mai 1990 versammelten sich 47 Frauen aus den Flüchtlingslagern in Palenque, Chiapas, um Mamá Maquín zu gründen. Ziel der Organisation war es, sich um die Rechte der Frauen auf Teilnahme, Organisierung und Gleichberechtigung zu bemühen, die Rettung und Erhaltung der indigenen Kultur zu fördern und das Recht auf Teilnahme an den Verhandlungen rund um die Rückkehr zu erkämpfen. Ausserdem sollte sie auch andere, bestehende Volksorganisationen unterstützen. In den drei folgenden Jahren wuchs Mamá Maquín schnell, 1993 zählte sie in den Lagern bereits 7 000 Mitglieder. Dieses Wachstum ging einher mit der institutionellen Verpflichtung von ACNUR, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern. Ausserdem koordinierte ACNUR die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen mit Frauen. Vielen Frauenflüchtlingen waren bis zu ihrer Teilnahme an diesen Programmen jegliches Wissen um Menschen- und Frauenrechte unbekannt. Eine Auswertung der Ausbildungsanstrengungen von ACNUR kam zum Schluss, dass das Selbstwertgefühl der Frauen durch besseres Kennen der Rechte gestärkt wurde und dass die Frauenorganisation deshalb wuchs, weil sie den Frauen neue Rollenbilder präsentierte. Ausserdem stellte ACNUR fest, dass die Anwesenheit von Männern in den Kursen weder positiv noch erfolgreich war. Neben den Ausbildungsprogrammen engagierten sich ACNUR und die Nichtregierungsorganisationen in der Förderung von Menschenrechten, von Reproduktions- und Landrechten und gegen häusliche und sexuelle Gewalt. Aufgrund dieser Anstrengungen schlossen die Vereinbarungen über die Rückkehr Themen wie Gleichberechtigung der Frauen im allgemeinen und das Recht auf Landbesitz für Frauen mit ein. Dennoch wurden laut Untersuchungen der internationalen Nichtregierungorganisationen, die RückkehrerInnen in ihrer Rückkehr begleitet hatten, festgestellt, dass diese Grundrechte in vielen Fällen missachtet wurden und dass die Teilnahme der Frauen nicht ihren eigenen Erwartungen entsprach. Die RückkehrObwohl die Frauen eine wichtige Rolle bei der Rückkehr spielten und ihre Forderungen bezüglich dem Recht auf Landbesitz in den Vereinbarungen aufgeführt waren, wurde der Zugang zu Landbesitz in der Praxis durch den fehlenden Willen der Behörden, die diskriminierenden Gesetze, als auch durch "den Opportunismus der Männerflüchtlinge" wie es eine Koordinatorin von ACNUR nennt, limitiert. Die Männer hätten sich oft nur deshalb für die Gründung von Frauenorganisationen ausgesprochen, um den internationalen Organisationen und Botschaften zu imponieren, ohne sich in der Praxis für die Forderungen der Frauen einzusetzen. In den wenigen Gemeinden, in denen Frauen das Recht auf einen Landtitel erhielten, waren die Kosten für die Legalisierung der Grundstücke unbezahlbar. Oft wurde der Landtitel der Frau gar verkauft, um mit dem Erlös die Schreibgebühren für den Landtitel ihres Partners zu bezahlen. In den Fällen, in denen die Kredite für die Finanzierung der Grundstücke durch die Kooperativen verteilt wurden, war den Frauen der Zugang auch durch die Verhinderung an der aktiven Teilnahme an Kooperativen und dem zum Teil schlechten Funktionieren dieser Organisationen verunmöglicht. In einigen Gemeinden war die Opposition der Männer noch direkter. In Pueblo Nuevo, Ixcan z.B. beschuldigten die Männer die organisierten Frauen der Zusammenarbeit mit der URNG und erklärten jegliche Versammlung ohne ihre Bewilligung als illegal. Obwohl einige der Friedensverträge die Regierung verpflichten, Diskriminierung zu eliminieren, hängt - formell und juristisch - Gleichberechtigung von Frauen im Bereich des Rechtes auf Landbesitz, Wohnung und Kredit von einem politischen Willen ab, der nicht zu existieren scheint. Nach oben |
Rechte und Fortschritt: Gelernte LektionenVor kurzem besucht Inforpress neun Gemeinden von RückkehrerInnen im Petén, Alta Verapaz und Quiché. In den Interviews mit Frauen fanden sich allerorts ähnliche Sorgen. Die Prioritäten der Rückkehrerinnen lagen ohne Ausnahme im Bereich materieller Notwendigkeiten, wie Zugang zu Maismühlen, Möglichkeiten zum Waschen der Kleidung, Trinkwasser, etc. Im Moment haben die Frauen den Kampf um gleiche Rechte zurückgestellt. Sie kämpfen um minimale Lebensbedingungen, die ihnen die Grundlage und die Zeit bieten würden, um sich erneut mit Geschlechterfragen befassen zu können. Währenddessen öffnet sich die Kluft zwischen den Promotorinnen für Geschlechterfragen und den angesprochenen Frauen. In einem Video von ACNUR, das einen Kurs über Genderfragen dokumentiert, fordert eine Kursleiterin die indigenen Frauen auf, sich zu bücken und fragt: "Wer steht oben?" Die Frauen antworten, nachdem sie einen Moment nachgedacht haben: "Das Militär." "Wer noch?" "Die Regierung." "Und wer noch?" "Die Reichen." "Wer noch?" "Die Generäle." Die gewünschte Antwort, nämlich "die Männer" kam nicht. Dieser Dialog zeigt auf, dass die Analyse der Frauen weiter reicht, als die der Promotorinnen, dass die Unterdrückung der Frauen nämlich strukturell bedingt ist und nicht unbedingt auf die These "jeder Mann ist ein Unterdrücker" reduziert werden kann. Ein anderes Beispiel für die Kluft zwischen der Prioritätensetzung zeigt ein Fall, in dem Promotorinnen einer Nichtregierungsorganisation Kredite an Frauen der Gemeinde Victoria 21. Januar offerieren. Damit verbunden war ein Lehrgang über Geschlechterfragen. Nach einem Einführungsreferat der Kursleiterin über die Rechte der Frau auf Partizipation und eigenen Ausdruck, gab es die Möglichkeit für Fragen und den Austausch von Ideen zum Thema. Nach einem langen Schweigen, streckte eine Frau auf, um das zu fragen was alle wissen wollten, nämlich: "Wann kriegen wir die Kredite?" Einige Untersuchungsbeauftragte meinen, dass es für viele PromotorInnen schwierig gewesen sei, Werte und Ideologien, die von den internationalen Hilfsinstitutionen als universell betrachtet wurden, auf die lokalen Begebenheiten zu übersetzten. Insbesondere auch, weil diese PromotorInnen auf eine Analyse ihrer eigenen historischen Wurzeln und der eigenen Ideologie verzichteten. Die Untersuchungen stellen auch fest, dass die Entwicklung von Geschlechterbewusstsein in den sogenannten entwickelten Ländern konkret mit sozialem Fortschritt einherging, wie z.B. der Senkung der Geburtensterblichkeit, der Schaffung von Kindertagesstätten, der Technologisierung der Hausarbeit, etc. Alles Errungenschaften, die Platz und Zeit freimachen, um sich mit neuen Rollenmustern auseinanderzusetzen. Alles Errungenschaften, die in den ländlichen Gemeinden Guatemalas völlig fehlen. Was in den Ausbildungsprogrammen für die guatemaltekischen Flüchtlinge völlig fehlte, war ein Programm im Bereich der Entwicklungspolitik. Im seinem Buch "Rückkehr der guatemaltekischen Flüchtlinge" teilt Clark Taylor, der viele Jahre mit einer Rückkehrgemeinde gearbeitet hatte, diese Folgerungen. Er schreibt: "Die Ausbildungen in den Lagern in Mexiko haben den Flüchtlingen nicht geholfen, die Entwicklungsschwierigkeiten Guatemalas zu verstehen". In all seinen Gesprächen mit RückkehrerInnen in Santa Maria Tzejá über die Ausbildungsangebote in Mexiko, ist kein einziger Kurs und kein Seminar im Bereich Entwicklungspolitik genannt worden. Alle hätten von Menschenrechten gesprochen, aber niemand von Entwicklung. Jetzt aber, nach der Rückkehr nach Guatemala, ist der Kontrast zwischen dem Wissen über Menschenrechte und Entwicklung schockierend, meint Taylor. Alle Autoritätspersonen der Gemeinden sind ausgebildete PromotorInnen im Menschenrechtsbereich, aber niemand im Bereich Entwicklung. Grundsätzlich teilt auch Mike Leffert, ein anderer Wissenschaftler, diese Schlussfolgerungen. Er streicht aber die Erfahrung, sich kollektiv zu organisieren, als positiv heraus, auch wenn die spezifischen Erfolge im Bereich Gleichstellung bescheiden seien. Man müsse anerkennen, dass die Frauen gelernt hätten, sich zu organisieren und auszudrücken. Man müsse unterscheiden zwischen der Bildung sozialer Strukturen und den erreichten Zielen jeder einzelnen. Negativ hingegen ist laut Analyse von Leffert, dass internationale Hilfswerke mit ihren Wertvorstellungen der Bevölkerung Gesellschaftsbilder aufdrängen, die wohl einer globalisierten Welt, aber in keiner Weise den lokalen, materiellen Lebensbedingungen entsprechen. In einer Welt, die von unterdrückenden Marktbeziehungen beherrscht ist, scheitert dieser Transfer von Ideologie meistens, weil die ÜberbringerInnen der Ideologie ihre Position kaum reflektieren. Somit verkommen Ideologien zu einer Art Güter oder Zuschüsse für Menschen unter totalem Notstand, und dienen einzig der Verbreitung einer universellen Weltordnung. Notstand ist für die Bevölkerung per Definition ein Bruch im natürlichen historische Ablauf. Oft wird er von Umbrüchen in der Gesellschaftsordnung und den Produktionssystemen, aber auch vom Verlust von Aussenkontakten begleitet. Eine solche Ausnahmesituation schränkt die Zivilbevölkerung in ihrem Engagement ein und erschwert ihr, eigenständig an der sozialen Entwicklung mitzuwirken. Im Gegenteil, Beziehungen, die im andauernden Notstand, unter neuen Abhängigkeiten entstehen, verschleiern oft die der Krise zugrundeliegenden Realitäten, das Selbstverständnis der betroffenen Menschen und überschätzen die Fähigkeit neuer Ideen, sich behaupten zu können. |
Original-PDF 214 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 - 10 - 11 --- Nächstes Fijáte