"Wir sind weder Zahnpasta noch Seife"
Fijáte 390 vom 1. August 2007, Artikel 1, Seite 1
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"Wir sind weder Zahnpasta noch Seife"
Dies die Antwort des Präsidentschaftskandidaten der linken Partei URNG-MAIZ, Miguel Angel Sandoval, auf die Frage eines Journalisten, wie seine Partei ihre Wahlkampagne finanziere. Seine Organisation sei auf Spenden von SympathisantInnen und auf viel Gratisarbeit angewiesen, deshalb könne sie auch weder Fernsehspots schalten noch Transparente aufhängen, wie dies die anderen Parteien (und die Zahnpasta- und Seifenhersteller) tun. Miguel Angel Sandoval begann seine politische Karriere als StudentInnenführer und trat in den 60er Jahren der revolutionären aufständischen Bewegung bei. Er war Mitgründer des Guerillaheers der Armen (EGP), einer der vier Organisationen, die sich später zur Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) zusammenschlossen, für die er auch an den Friedensverhandlungen mit der Regierung teilnahm. Einen Teil des Krieges verbrachte er in Paris, wo er Psychologie studierte. Zurück in Guatemala arbeitete er unter anderem als Berater des UNO-Entwicklungsprogamms und anderen nationalen wie internationalen Organisationen sowie als Kolumnist in der Tageszeitung elPeriódico. Wir veröffentlichen im folgenden Ausschnitte aus zwei Interviews mit Sandoval, die am 5. bzw. 15. Juli im Radioprogramm El Estaratazo bzw. in elPeriódico veröffentlicht wurden. Wir haben dafür eine nicht ganz über alle Zweifel erhabene Methode gewählt und die beiden Interviews vermischt, da sie ähnliche Fragen aber unterschiedlich präzise Antworten enthalten. Was in normaler Schrift steht, stammt aus dem Radiointerview, was kursiv gedruckt ist, aus dem Interview mit elPeriódico. Frage: Wie sieht das Regierungsprogramm von URNG-MAIZ aus? Miguel Angel Sandoval: URNG-MAIZ setzt acht Prioritäten: Eine würdevolle Arbeit und einen gerechten Lohn; eine Landreform; der Ausbau des Bildungswesens und eine kostenlose Gesundheitsversorgung; der Kampf gegen Korruption; der Schutz der Naturressourcen; die Einhaltung der Rechte der indigenen Bevölkerung; Geschlechtergerechtigkeit und ein demokratisches Sicherheitssystem. Frage: Was ist eine würdevolle Arbeit? Ein Job in einer Maquila (Billiglohnfabrik)? MAS: Nein. In der Maquila sind die Gewerkschaften verboten, die Frauen werden sexuell belästigt, die Arbeitszeiten sind unmenschlich und die Angestellten werden schlecht bezahlt. In Guatemala werden die Arbeitsrechte nicht respektiert, am wenigsten in den Maquilas und auf den Fincas. Der Mindestlohn liegt bei ca. 1200 Quetzales pro Monat (ca. 150 US-$) und der Grundnahrungskorb kostet etwa doppelt so viel. Viele Leute sind deshalb gezwungen, zwei Jobs zu machen, sofern sie einen zweiten finden. Im Zusammenhang mit einer gerechten Entlohnung der LandarbeiterInnen müssen wir über eine Landreform sprechen. Ein Landbesitzer, der keine Steuern und die gesetzlich festgelegten Löhne nicht bezahlt und der eine Finca unproduktiv hält, erfüllt seine soziale Verpflichtungen als Besitzender nicht, und sein Land sollte unverzüglich verkauft oder durch Enteignung einem sozialen Zweck zugeführt werden. Frage: Sie schlagen also die Enteignung und Neuverteilung von Land vor? MAS: Dies allein wäre eine sehr kurzsichtige Vision. Eine Landreform muss die Fragen von Landbesitz, von Krediten und Technologie, aber auch von garantierten Märkten und Preisen enthalten. Ansonsten geschieht, was geschehen ist: Man gibt den Leuten Land, aber ohne finanzielle Unterstützung, ohne Know-How und ohne Märkte und garantierte Abnahmepreise gehen entweder die Ernten wegen Schädlingen oder falscher Pflege verloren, oder weil man keinen Absatzmarkt findet bzw. gezwungen ist, zu Dumpingpreisen zu verkaufen. Eine Landreform, wie wir sie vorschlagen, konzentriert sich stärker auf den lokalen Markt und darauf, den Dienstleistungs- und Finanzierungssektor für diesen Markt zu stärken und auszubauen. Ebenso gehört dazu der Ausbau gewisser Industriesektoren. Bisher hatte man als Zielgruppe für unseren Markt 200 Millionen Gringos im Blick und nicht die Möglichkeit, wie der Markt für 13 Millionen GuatemaltekInnen oder für 40 oder 50 Millionen ZentralamerikanerInnen gestärkt werden könnte. Es gibt ganze Studien darüber, wie Leute, denen man keine Kredite gewährt, denen man keine technische Unterstützung leistet, die keinen Absatz für ihre Produkte finden und vor allem, denen man unfruchtbares Land gibt, wie diese Leute sich dafür entscheiden, ihr Land wieder zu verkaufen. Dies ist die im höchsten Mass negative Bilanz der Arbeit von Fontierras (Landfonds). Frage: Ist Fontierras nicht ein Resultat der Frie-<..-> densabkommen, und seine Aufgabe die Suche nach einer Landverteilung, ohne dabei das Modell der "Agrarreform" auf die Spitze zu treiben? MAS: Das ist so, aber er ist ein schlecht umgesetztes Resultat der Friedensabkommen, genauso wie die Nationale Zivilpolizei (PNC). Die Tatsache, dass etwas in den Friedensabkommen festgehalten ist, sagt noch nichts aus über seine Umsetzung. Dazu fehlte es am politischen Willen der Präsidenten Alvaro Arzú, Alfonso Portillo und Oscar Berger. Frage: ...und ist Ausdruck einer grossen Schwäche der URNG, die die Friedensabkommen mit unterzeichnete und die Sie jetzt als Präsidentschaftskandidaten postuliert. MAS: Das stimmt und ich habe die Guerillaführung damals auch entsprechend kritisiert. Frage: Sie sprachen vorher über würdevolle Arbeit. Braucht es dazu nicht zuerst eine qualitativ gute Schulbildung? MAS: Die Tatsache, dass jemand Kaffeepflückerin ist oder Druckknöpfe in einer Maquila stanzt, bedeutet nicht, dass du keine Rechte hättest. Auch die Bildungsreform ist in den Friedensabkommen verankert. Es müssen u.a. die Inhalte der Schulbücher überarbeitet werden, dazu möchte ich ein Beispiel geben: Auf einer Versammlung von 200 PrimarlehrerInnen fragte ich, was für sie die Jahreszahl 1871 bedeutet. Ich bekam vielfältige Antworten, aber niemand bezog sich darauf, dass mit der Liberalen Reform von 1871 die Indígenas von ihren kommunalen Ländereien vertrieben und als billige Arbeitskräfte auf die Kaffeefincas gezwungen wurden. Dieses Datum, fundamental für die nationale Geschichte, erscheint in keinem Geschichtsbuch und solche Ereignisse und Daten aufzunehmen, wäre Teil einer tiefgreifenden Bildungsreform. Frage: Sie kritisieren die rechten Regierungen, aber Tatsache ist, dass die WählerInnen diese Regierungen bevorzugen. Alvaro Arzú z.B. sagt, er brauche keine Wahlkampagne zu führen, um (als Bürgermeister der Hauptstadt, die Red.) wiedergewählt zu werden. Weshalb? MAS: Unglücklicherweise sind wir sehr konservativ. Während vieler Jahre wurden wir mit ideologischen Konzepten bombardiert, so dass heute noch viele Leute glauben, wir Linken würden Kinder fressen. Ich sage es nicht gerne, aber in Guatemala haben wir den kalten Krieg noch nicht überwunden, seine Denkweise ist nach wie vor fest in unserer Gesellschaft verankert. Nach oben |
URNG-MAIZ hat das Acht-Punkte-Programm, das ich erwähnt habe, aber darüber hinaus ist uns auch die Internationale Zusammenarbeit ein Anliegen und wir schlagen die Eingliederung in das ALBA vor (Bolivarianische Alternative für Amerika, Alternatives Freihandelsabkommen ausgehend von Venezuela). Frage: Weshalb ist es wichtig für Guatemala, dem ALBA beizutreten und nicht, zur Wirtschaftszone der USA zu gehören? MAS: Das Problem ist nicht, unter dem Einfluss der USA zu stehen. Das Problem ist - und es ist mir wichtig, dass Sie das wortwörtlich zitieren - das Problem ist, dass das Freihandelsabkommen mit den USA auf unbarmherziger Konkurrenz beruht. Die Nordamerikaner waren so intelligent, Mais, Bohnen und Reis in das Abkommen aufzunehmen mit dem Ergebnis, dass heute unsere eigenen kleinen und mittleren ProduzentInnen bankrott gehen. Die Vereinigten Staaten überfluten Guatemala mit Mais. Letztes Jahr stiegen die Maisimporte um 18%, die Reisimporte um mehr als 30%. Hat dies dazu geführt, dass hier die Produkte billiger geworden wären? Natürlich nicht, im Gegenteil, die Preise der Grundnahrungsmittel stiegen und steigen weiterhin. Mein Vorschlag ist, dass Guatemala dem ALBA beitritt, weil die Philosophie hinter ALBA Kooperation ist und nicht Konkurrenz. Es geht nicht darum, den Mais eines Landes gegen den Mais eines anderen Landes auszuspielen, wie dies das Freihandelsabkommen mit den Gringos tut. Es geht darum, die Stärken eines Landes zu nutzen und es geht um einen gegenseitigen Austausch dieser Stärken. Frage: Sprechen wir über ihren Vorschlag, die Privatisierungen der Vorgängerregierungen rückgängig zu machen… MAS: Ein Staat, der die wichtigsten Dienstleistungen nicht kontrolliert, ist ein Staat, der nicht viel zu tun hat und ein Staat, der das Telekommunikationssystem nicht unter Kontrolle hat, ist das Allerletzte. Allein mit der Privatisierung von Telgua sind die Preise für Telefongespräche um 1200% gestiegen, und das ist keine Erfindung von mir, sondern ein bewiesenes Fakt. Mit dem Geld, das aus Guatel erwirtschaftet wurde, unterstützte die Regierung Bildungsprojekte. Mit der Privatisierung hörte dies auf, während sich die heutigen Besitzer Millionenbeträge in den eigenen Sack stecken. Frage: Was schlagen Sie vor, um der Gewalt zu begegnen und Sicherheit zu garantieren? MAS: Die Sicherheitsfrage muss mit einem präventiven Ansatz angegangen werden, wozu die Schaffung von Arbeitsplätzen und Bildung gehört. Es braucht eine Säuberung der Nationalen Zivilpolizei, eine Stärkung der Staatsanwaltschaft, eine Stärkung und Säuberung des Justizwesens und eine Gesetzesreform in Sachen Berufungsverfahren (Ley de Amparo), um das endlose Verzögern von Prozessen zu verhindern. Weiter muss das Geschäft mit der Gewalt unterbunden werden. Während dem bewaffneten Konflikt wurden jährlich 20 Millionen Stück Munition verkauft, heute sind es 50 Millionen. Verkauft werden diese häufig in kleinen Waffen- und Munitionsgeschäften, die nicht registriert und vom Staat nicht kontrolliert sind, was inakzeptabel ist. In Guatemala gibt es 150'000 Personen, die in privaten Sicherheitsfirmen arbeiten, von denen nur 30% die gesetzlichen Bestimmungen erfüllen und von denen die meisten die Arbeitsrechte ihrer Angestellten verletzen. Unser Vorschlag beruht auf einem demokratischen Sicherheitskonzept. Wir wollen kein Terror- oder repressives System einführen, um der Gewalt zu begegnen. Damit unterscheiden wir uns von den Vorschlägen der anderen Parteien und KandidatInnen, die sich alle für den Einsatz des Militärs bei internen Sicherheitsfragen aussprechen. Frage: Wenn Sie Präsident wären, wären sie ein zweiter Chávez? MAS: Wenn Guatemala Öl und Geld hätte wie Venezuela, würde unsere Regierung sicher grosszügig in die öffentliche Hand investieren und befreundete Regierungen finanziell unterstützen, aber leider ist dies nicht so. Es geht heute darum, für jedes Land das geeignete nationale Rezept zu finden. In unserem Fall würde dies auf unserem kulturellen Reichtum basieren und auf der Erfüllung nicht aufschiebbarer Aufgaben wie der Landreform, auch wenn dies der Handelskammer nicht gefällt. Es würde auf der Verteidigung und dem Schutz unserer Naturressourcen gründen, denn das was heute mit dem Goldunternehmen Montana läuft, schadet unserem Land bloss. Dieses Unternehmen baut Gold im Tagebau ab, verschmutzt dabei eine Unmenge von Wasser und holzt das Land ab - als Entschädigung überlässt es Guatemala 1% seines Gewinns. Frage: Was ist die kostbarste Ressource, über die Guatemala verfügt, und die das Land wettbewerbsfähig macht? In Venezuela ist es das Öl, in China die Arbeitskraft... MAS: Das Problem ist, dass sich alle immer nur überlegen, was wir der Welt verkaufen können, auch wenn wir dabei vor Hunger sterben. Ich glaube, wir müssen zuerst die internen Probleme lösen und erst nachher unsere Wettbewerbschancen prüfen und uns überlegen, was wir verkaufen könnten. Frage: Zum Schluss die Gretchenfrage: Ist es nicht so, dass die Leute in Guatemala rechts wählen, weil es keine Linke gibt? Miguel Angel Sandoval spricht von "seiner" Linken, Rigoberta Menchú beansprucht die ihre, Pablo Monsanto hat auch… MAS: Nein, nein und nochmals nein. Wenn jemand von ihnen die Freundlichkeit hätte, mir zu erklären, weshalb Fernando Montenegro (Unternehmer, Vizepräsidentschaftskandidat von Rigoberta Menchú) ein Linker sein soll, lasse ich mich auf diese Frage ein. Und wenn jemand mir erklären kann, weshalb die Militärs auf der Liste der ANN Linke sein sollen, können wir über Ihre Frage diskutieren. Frage: Sie behaupten also, die einzige Linke zu vertreten? MAS: Ja, und dabei werden wir unterstützt von BäuerInnenorganisationen, Gewerkschaften, Frauen- und Jugendorganisationen, BürgerInnenkomitees - von einem ganzen Fächer sozialer Organisationen. Frage: Kurz und gut, militärisch-links oder unternehmerisch-links sind Kombinationen, die es nicht gibt? MAS: Theoretisch schon. In Guatemala nicht. |
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