Düstere Aussichten für die Wirtschaft
Fijáte 247 vom 31. Okt. 2001, Artikel 1, Seite 1
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Düstere Aussichten für die Wirtschaft
Der folgende Artikel ist eine Zusammenfassung der politischen Ereignisse der letzten Wochen in Guatemala. Er versucht, ein Bild über die sich drastisch verschlechternde sozioökonomische Situation zu geben. Diese ist schon seit Anfang der Regierungszeit von Präsident Portillo prekär, durch die 'aktuelle Weltlage' spitzt sie sich zu. Diese jedoch als Ursache aller Probleme und als Ausrede für militärische Aufrüstung und Kürzung der Sozialausgaben heranzuziehen, wie das die Regierung Portillo derzeit macht, ist aber doch etwas zu vereinfacht. Anfang Oktober beantragte der guatemaltekische Verteidigungsminister, Eduardo Arévalo Lacs, eine Budgeterhöhung für das Jahr 2002 von rund 110 Mio. US-$ auf insgesamt 150 Mio. US-$. Begründet wurde dieser Antrag damit, dass die Ausrüstung der Soldaten der Luft-, Wasser- und Bodentruppen nach dem 36 Jahre dauernden internen Konflikt in einem schlechten Zustand ist. Guatemala bestätigte seine Solidarität mit den Vereinigten Staaten auch nach Beginn der Bombardierungen in Afghanistan und stellte der US-Army 30 Soldaten ihrer Spezialtruppe Kaibiles zur Verfügung. Zwei Wochen zuvor informierte Präsident Portillo über einen möglichen Zusammenschluss von drei Sozialfonds: des sozialen Investitionsfonds (FIS), des Friedensfonds (FONAPAZ) und des Solidaritätsfonds. Die Begründung dafür ist, die drei Fonds würden doppelte Arbeit leisten und das Problem nur oberflächlich und nicht an der Wurzel bekämpfen. Ein Zusammenschluss der drei Fonds ginge einher mit einer Reduktion des Sozialbudgets. Etwa zeitgleich beantragte Finanzminister Eduardo Weymann beim Kongress die Ausgabe von staatlichen Wertpapieren in der Höhe von 163 Mio. US-$. Damit soll die finanzielle Situation des Staates verbessert werden. Im Moment können die Gehälter seiner Angestellten nicht bezahlt und bereits begonnene öffentliche Bauten nicht ausgeführt werden. Bereits bei früheren Gelegenheiten erwähnte Weymann, dass im Erziehungs- und Verkehrs- und Kommunikationsministerium keine Gehälter bezahlt werden könnten. Auch das Erziehungsministerium, die Staatsanwaltschaft und der staatliche Menschenrechtsprokurator mussten mangels finanzieller Mittel ihre Aktivitäten einschränken. Ende August betrug die öffentliche Schuld rund 275 Mio. US-$. Mit einer erneuten Ausgabe von staatlichen Wertpapieren nähme das finanzielle Ungleichgewicht noch zu. Da die geplanten Mechanismen zur Eintreibung von Steuergeldern nicht griffen und der Wirtschaftsrückgang und die Verzögerung der Auszahlung von Geldern aus dem Ausland nicht berücksichtigt wurden, bekam die Regierung Liquiditätsprobleme. Präsident Portillo erklärte eine staatliche Wirtschaftkrise. Trotzdem lehnte die Regierungspartei FRG den Vorschlag von Weymann ab und präsentierte eine neue Idee, um die Wirtschaft wieder zu beleben: Der Plan heisst "Schaufel, Pickel und Spaten", richtet sich an die LandarbeiterInnen und hat Züge, die stark an die aufstandsbekämpfenden Methoden vergangener Zeiten erinnern. Anstatt in private Unternehmen zu investieren und diese mit der Ausführung von staatlichen Aufgaben (Bauten und Instandhaltung) zu beauftragen, will die Regierung selber zur Arbeitgeberin werden und Leute zum Minimallohn anstellen. Damit hat die Regierung auch die Entscheidungsmacht darüber, wer Arbeit bekommt und wer nicht, für wie lange und unter welchen Bedingungen. Derweil nimmt die Arbeitslosigkeit zu. Rund 100'000 guatemaltekische BäuerInnen haben durch die Kaffeekrise ihre Arbeit verloren. Die Migration in die Kaffeeplantagen nach Chiapas bietet keine Lösung, da dort das selbe Problem besteht. Die Zuckerindustrie kann die Arbeitskräfte nicht aufnehmen, zeichnet sich doch dort ein ähnliches Problem ab. Es wird damit gerechnet, dass der Zuckerpreis bis Mitte des kommenden Jahres von heute 6.44 US-$ auf 6.12 US-$ pro 50 Kilo sinken wird. Zucker ist nach dem Kaffee das zweitwichtigste Exportprodukt Guatemalas. Ein weiteres Produkt, dessen Export durch die aktuelle Situation beeinträchtigt wird, ist der Kardamom: Die Transportkosten für dieses vor allem in den Mittleren Osten exportierten Produkts stiegen um 1 US-Cent pro Kilo. Dies als eine Art Versicherung für die Schifffahrtsgesellschaften, deren Risiko durch den Krieg gegen Afghanistan gestiegen ist. Nach oben |
Auch die Tourismusbranche hat seit dem 11. September und durch den Beginn des Krieges gegen Afghanistan eine Einbusse von rund 60% erlitten. Die allgemeine Unsicherheit hat zur Folge, dass auch TouristInnen aus Europa ausbleiben, da sie den Umweg über die Vereinigten Staaten scheuen. Ebenso ist die Nachfrage nach in den Maquila produzierten Textilien zurückgegangen. Tatsache ist, dass die guatemaltekische Industrie nicht über die Reserven verfügt, eine Wirtschaftskrise aufzufangen, bzw. abzudämpfen. Vom UnternehmerInnenverband CACIF wurde denn auch sofort ein Steuererlass für Unternehmen und die Reduktion der öffentlichen Ausgaben gefordert. Für die nächsten Monate wird die Entlassung von mehreren tausend ArbeiterInnen erwartet sowie die Schliessung vieler Unternehmen. Zu dieser Situation kommt die diesjährige, ausgeprägte Trockenzeit und der Verlust vieler Ernten hinzu, was zu einer Lebensmittelknappheit und zu Hunger führt. Auch die 'remesas', die Geldsendungen von in den Vereinigten Staaten lebenden GuatemaltekInnen sind zurückgegangen. Viele LateinamerikanerInnen haben nach den Anschlägen vom 11. September ihre Arbeit verloren. Doch Achtung: Als ein sogenanntes Drittweltland ist Guatemala zwar anfällig für die wirtschaftlich negativen Auswirkungen, die durch die Globalisierung entstehen. Zweifellos ist die guatemaltekische Wirtschaft abhängig vom Weltmarkt, vom Tourismus und von internationalen Finanzinstituten. Es wäre aber zu einfach, die aktuelle Situation einzig als eine Konsequenz der weltweiten Krise zu bezeichnen und somit in das momentan beliebte Schema zu verfallen, die Bösen bzw. Schuldigen anderswo zu suchen. Im Fall von Guatemala sind die Ursachen der ökonomischen Krise auch im Fehlen einer Wirtschaftpolitik mit längerfristiger Perspektive zu suchen, im Mangel an Transparenz bei den öffentlichen Finanzen, in der Korruption und im Fehlen eines funktionierenden Justizsystem sowie eines Rechtsstaates. Zu dieser Einsicht scheint auch die aus den Geberländer zusammengesetzte Konsultivgruppe gekommen zu sein, deren auf den 27. November angesetztes Treffen nun bereits zum dritten Mal verschoben wird. Als Grund dafür werden neben der internationale Krise die nicht erfüllten Voraussetzungen durch die guatemaltekische Regierung genannt. Zu diesen Bedingungen gehört die schrittweise Umsetzung der Friedensabkommen, u.a. eine Steuerreform und die Bekämpfung der Korruption. Das erneute Verschieben des Treffens kann für die guatemaltekische Regierung fatale Folgen haben, rechnet sie doch für ihr Haushaltsbudget 2002 fest mit Geldern der internationalen Gemeinschaft. Für die Zivilgesellschaft jedoch könnte es eine Chance sein, die 'gewonnene' Zeit zu nutzen, um ihre Position zu stärken und gemeinsame Forderungen gegenüber der Regierung und der Konsultivgruppe zu formulieren (siehe ¡Fijáte! 244). |
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